Main Post 06.05.99

Georg Ringsgwandl über die Kunst und das Leben
"Vorurteilslos an den Menschen anschleichen"

                    Der 1948 in Staufenbrücken geborene Georg Ringsgwandl, im
                    "kleinbürgerlichen Leben" Arzt, ist bekannt für seine ganz eigene
                    Mischung aus Kabarett, provokativer Verwandlungsshow, Tragikomik,
                    Mundartdichtung und Musik. In schräger Verkleidung singt er von den
                    Absurditäten des modernen Lebens, dessen Nichtigkeit und
                    Vergänglichkeit er dem Publikum durch groteske Überzeichnung des
                    alltäglichen Wahnsinns vorführt.

                    Bei einem Besuch in Schweinfurt sprach er über das Verhältnis von
                    Medizin und Kabarett, von Rolle und "Spießbürgertum" und von den
                    Träumen, die er noch hat.

                    "Von meiner Biographie gibt es verschiedene Versionen," behauptet er.
                    "Ich habe eine für Frauenzeitschriften, für den BayWa-Gartenfachberater,
                    für Capital und die Bäckerblume," sagt er und grinst dabei. "Ich mache
                    das, was gerade gebraucht wird, von redaktioneller Beratung bis hin zum
                    gezinkten Interview, das die deutsche Hausfrau dazu bewegt, wieder mehr Semmeln zu kaufen."

                    Das kommt daher, "daß ich an sich ein Multidilettant bin und nicht, wie die Medien behaupten,
                    ein Multitalent. Ich singe mehr oder weniger grausig, aber eingängig," gibt er zu. "Ein paar
                    Fehlgeleitete der Gesellschaft gehen dann in die Konzerte. Eigentlich bin ich auf der Bühne ein
                    abschreckendes Beispiel, denn im wirklichen Leben gehöre ich zu den ehrlichen Spießbürgern mit
                    der dazugehörigen Liebe zu Kleingärtnern und Taubenzüchtervereinen. Tiefes Mißtrauen hege ich
                    nur gegen die Leute, die von sich behaupten, offen und rebellisch zu sein."

                    Vielen Leuten ist die Kombination aus Medizin und Kabarett verdächtig. Welche Verbindung
                    gibt es zwischen dem Arzt Ringsgwandl und dem Kabarettisten, der
                    "induktiv-von-unten-analytische Gesellschaftsforschung" betreibt? "Nun, das Interesse des
                    Mediziners richtet sich immer auf den einzelnen Menschen, im Gegensatz zum Gebiet des
                    Soziologen, der sich mit der Masse beschäftigt," erklärt Ringsgwandl. "Als Arzt interessiert mich
                    der einzelne. Meine Forschungsarbeit in der Gesellschaft hingegen arbeitet damit, sich
                    vorurteilslos an Menschen heranzuschleichen. Treffen mehrere der Art zusammen, entstehen
                    meine Hypothesen."

                    Dazu schaut er sich einfach um und registriert, "worüber sich die Leute auf der Straße unterhalten:
                    über den neuen Baumarkt, daß das Benzin zu teuer sei, meine Krampfadern jucken oder es ist so
                    saukalt, wo bleibt die globale Erwärmung?" Wie war denn das Gefühl für den "Lebensdilettanten"
                    Ringsgwandl, als er 1989 den Deutschen Kleinkunstpreis erhielt? "Den kriegt doch jeder Trottel,"
                    protestiert er. "Oder nach dem Spruch von Polt: Der Preis sucht gnadenlos seinen Träger. Nein,
                    da hat sich nichts geändert." Und bei der Arbeit als Arzt, wenn die Leute ihn doch als ironisch, ja
                    geradezu bissig von der Bühne her kennen? "Viele Leute kommen nicht zu mir, wollen sich von
                    so einem nicht behandeln lassen," gibt er zu. "Anfangs war ich dadurch schon etwas verschreckt,
                    doch inzwischen akzeptiere ich den Wählerwillen. Wir leben ja in einer freien Marktwirtschaft.
                    Da kann man sich seinen Arzt aussuchen. Nur die Schwerkranken, nach einem Unfall, die schon
                    mit Beatmungsgerät in die Praxis kommen, die haben keine Wahl mehr."

                    Ist der Kabarettist privat eigentlich auch so ironisch? Wird das irgendwann zum Charakterzug?
                    Ringsgwandl schaut ernst drein: "Im Alltag bin ich ein absolut normaler Kleinbürger. Ich versuche
                    nicht, im Alltag besonders witzig zu sein. Es ist nicht so, daß ich von meiner Rolle nicht mehr
                    runterkomme. Ich kann das überhaupt nicht leiden, wenn Leute in ihrer Rolle steckenbleiben.
                    Mehr noch: Im Alltag habe ich keinen Sinn für Faxen! Alltag muß ganz kerzengerade sein."

                    Nach einer völlig normalen Kindheit hat Georg Ringsgwandl ein Studium absolviert, hat einen
                    bürgerlichen Beruf. Immer schon hat er Musik gemacht, dann kam das Kabarett, zuletzt 1998
                    das Theater. Gibt es da etwas, wovon man noch träumt, was man unbedingt noch machen will?
                    "Ich möchte gerne noch ein paar Musiktheaterstücke schreiben, ein paar Bücher, die ich schon
                    im Kopf habe, noch ein paar Platten machen. Das wäre das Wichtigste."

                    Und jenseits der Kunst und Kultur? Der alte Traum von Reichtum und einer einsamen Insel? "Ich
                    möchte in der Innenstadt sterben. Ich glaube nicht an die Version, daß man genug Geld hat und
                    sich zurücklehnt. Das ist tödliche Langeweile. Auf dem Land wird man vollkommen deppert,
                    fängt das Saufen an. Das beste Privileg beim Altwerden ist doch, weiterhin mitzumachen - mitten
                    im Leben."
                                                                           Susanne de la Fuente