Der Märchenkönig als Faschingsprinz
Die Uraufführung von Georg Ringsgwandls
Musical-Parodie „Ludwig II.“ an den Münchner
Kammnerspielen
Endlich hat er es geschafft: Dr. Georg Ringsgwandl,
Mediziner von Beruf und Unterhaltungskünstler aus Berufung,
ist der erste gekrönte Kabarettist Bayerns. Von der
„Tankstelle der Verdammten“ auf den Königsthron der
Vedummten – solch eine Musical-Karriere soll ihm erst
einmal einer nachmachen. „Ludwig II. – Die volle Wahrheit“
heißt der neueste Streich des schrägen Entertainers. Regie,
Musik, Text, Bühne, Titelrolle: Georg Ringsgwandl. Vielleicht
ein bißchen viel auf einmal. Angekündigt ist eine Punk-Oper,
zu sehen ist ein Kasperltheater – und der Protest vermummter
Königstreuer vor der Uraufführung an den Münchner
Kammerspielen eigentlich der beste Gag. Denn das Singspiel
um Ludwigs Lust und Frust entpuppt sich als hochkarätig
besetztes, aber harmloses Vergnügen.
Die Rolle des Märchenkönigs ist ein gefundenes Fressen für
Ringsgwandl, der sich allerdings am liebsten selber spielt.
Hier kann sich der Verkleidungskünstler zu den geliebten
Strumpfhosen und zum Blümchen-Body blaue Stulpenstiefel,
Hermelin-Umhang, Krone und Plastik-Dauerwelle anziehen:
„Ich bin die Lichtgestalt von Nymphenburg“, singt der König
von der traurigen Gestalt in schönster Kastraten-Koloratur.
Die Königskarikatur kokst und kifft, kost knackige Knaben
und kalauert auf Teufel-komm-raus. Als selbstgefälliger
Dummbeutel und halbseidener Revuestar tänzelt er über die
beleuchtete Treppe, die das Bühnenbild bestimmt.
Alles beginnt sehr vielversprechend am Krönungstag:
Während Ludwig noch darüber sinniert, was er anziehen soll,
rauscht auf einem Kleiderständer Jörg Hube als Haushälterin
herein. Und schon setzen die Wasserwacht vom Starnberger
See und der Trachtenverein aus Rosenheim zum
bayuwarischen HipHop an (Choreographie: Stepehn
Galloway). Der Kini aber sehnt sich nach erhabener Musik,
wie sie der weihevoll wabernde Wagner (Rufus Beck)
schreibt. Stattdessen gibt die Sechs-Mann-Band hinterm
Lametta-Vorhang Second-Hand-Rock zum Besten.
Während das Volk darbt und hungert, erfüllt sich Ludwig
seine wahnwitzigen Kindheitsträume ohne Rücksicht auf
Verluste. Daneben amüsiert er sich am liebsten mit seiner
kaiserlichen Cousine, der scharfen Straps-Sissy (Annika
Pages wie die Geiltalerin aus „Der Watzmann ruft“).
Zuguterletzt verscherbelt der durchgeknallte Monarch das
Land der Bayern an Bismarck. Auch in dieser Rolle kann der
hinreißende Verwandlungskünstler Jörg Hube dem Affen
Zucker geben. Hube spielt, fränkelt und berlinert sich durch
sechs verschiedene Rollen, insgesamt teilen sich 14
Schauspieler 68 Rollen.
Wenn am Ende Ludwig und Sissy im Schwan entschweben
zieht sich die Nummernrevue längst wie Kaugummi, und man
erinnert sich an Ludwigs zweiflerisches Intro: „Vielleicht hat
das alles ja gar keinen Sinn?“ Ringsgwandl hat sich einen Jux
gemacht – und ein Thema verschenkt. Als genialer Dilettant
hat er mit seiner Trash-Version immerhin der
millionenschweren Konkurrenz, die bei Neuschwanstein ein
ironiefreies Ludwig-Musical im eigenen Festspielhaus plant,
vorerst die Show gestohlen. Allerdings muß die Frage erlaubt
sein, ob sich ein hochsubventioniertes, renommiertes Theater
wie die Münchner Kammerspiele solch einen teuren
Silvester-Spaß leisten muß.
Der König ist tot, es lebe der König! Auch wenn sich
Ringsgwandl I. eher wie ein Faschingsprinz aufführt.
STEFFEN RADLMAIER