Nürnberger Nachrichten 04.01.99

                            Der Märchenkönig als Faschingsprinz
                            Die Uraufführung von Georg Ringsgwandls
                            Musical-Parodie „Ludwig II.“ an den Münchner
                            Kammnerspielen

                            Endlich hat er es geschafft: Dr. Georg Ringsgwandl,
                            Mediziner von Beruf und Unterhaltungskünstler aus Berufung,
                            ist der erste gekrönte Kabarettist Bayerns. Von der
                            „Tankstelle der Verdammten“ auf den Königsthron der
                            Vedummten – solch eine Musical-Karriere soll ihm erst
                            einmal einer nachmachen. „Ludwig II. – Die volle Wahrheit“
                            heißt der neueste Streich des schrägen Entertainers. Regie,
                            Musik, Text, Bühne, Titelrolle: Georg Ringsgwandl. Vielleicht
                            ein bißchen viel auf einmal. Angekündigt ist eine Punk-Oper,
                            zu sehen ist ein Kasperltheater – und der Protest vermummter
                            Königstreuer vor der Uraufführung an den Münchner
                            Kammerspielen eigentlich der beste Gag. Denn das Singspiel
                            um Ludwigs Lust und Frust entpuppt sich als hochkarätig
                            besetztes, aber harmloses Vergnügen.

                            Die Rolle des Märchenkönigs ist ein gefundenes Fressen für
                            Ringsgwandl, der sich allerdings am liebsten selber spielt.
                            Hier kann sich der Verkleidungskünstler zu den geliebten
                            Strumpfhosen und zum Blümchen-Body blaue Stulpenstiefel,
                            Hermelin-Umhang, Krone und Plastik-Dauerwelle anziehen:
                            „Ich bin die Lichtgestalt von Nymphenburg“, singt der König
                            von der traurigen Gestalt in schönster Kastraten-Koloratur.
                            Die Königskarikatur kokst und kifft, kost knackige Knaben
                            und kalauert auf Teufel-komm-raus. Als selbstgefälliger
                            Dummbeutel und halbseidener Revuestar tänzelt er über die
                            beleuchtete Treppe, die das Bühnenbild bestimmt.

                            Alles beginnt sehr vielversprechend am Krönungstag:
                            Während Ludwig noch darüber sinniert, was er anziehen soll,
                            rauscht auf einem Kleiderständer Jörg Hube als Haushälterin
                            herein. Und schon setzen die Wasserwacht vom Starnberger
                            See und der Trachtenverein aus Rosenheim zum
                            bayuwarischen HipHop an (Choreographie: Stepehn
                            Galloway). Der Kini aber sehnt sich nach erhabener Musik,
                            wie sie der weihevoll wabernde Wagner (Rufus Beck)
                            schreibt. Stattdessen gibt die Sechs-Mann-Band hinterm
                            Lametta-Vorhang Second-Hand-Rock zum Besten.

                            Während das Volk darbt und hungert, erfüllt sich Ludwig
                            seine wahnwitzigen Kindheitsträume ohne Rücksicht auf
                            Verluste. Daneben amüsiert er sich am liebsten mit seiner
                            kaiserlichen Cousine, der scharfen Straps-Sissy (Annika
                            Pages wie die Geiltalerin aus „Der Watzmann ruft“).
                            Zuguterletzt verscherbelt der durchgeknallte Monarch das
                            Land der Bayern an Bismarck. Auch in dieser Rolle kann der
                            hinreißende Verwandlungskünstler Jörg Hube dem Affen
                            Zucker geben. Hube spielt, fränkelt und berlinert sich durch
                            sechs verschiedene Rollen, insgesamt teilen sich 14
                            Schauspieler 68 Rollen.

                            Wenn am Ende Ludwig und Sissy im Schwan entschweben
                            zieht sich die Nummernrevue längst wie Kaugummi, und man
                            erinnert sich an Ludwigs zweiflerisches Intro: „Vielleicht hat
                            das alles ja gar keinen Sinn?“ Ringsgwandl hat sich einen Jux
                            gemacht – und ein Thema verschenkt. Als genialer Dilettant
                            hat er mit seiner Trash-Version immerhin der
                            millionenschweren Konkurrenz, die bei Neuschwanstein ein
                            ironiefreies Ludwig-Musical im eigenen Festspielhaus plant,
                            vorerst die Show gestohlen. Allerdings muß die Frage erlaubt
                            sein, ob sich ein hochsubventioniertes, renommiertes Theater
                            wie die Münchner Kammerspiele solch einen teuren
                            Silvester-Spaß leisten muß.

                            Der König ist tot, es lebe der König! Auch wenn sich
                            Ringsgwandl I. eher wie ein Faschingsprinz aufführt.
                            STEFFEN RADLMAIER