Annika Pages - Wo der Barthel den Most holt
Kein Mädchen mit Duttfrisur, das bei Intendanten den
Höhere-Töchter-find ich-süß Reflex hervorruft,
sondern das schöne Tier nach Houellebeq.
Monroe aus
dem Glasscherbenviertel. Erratische Diva aus üppigerer Zeit.
Löwe mit Löweaszendent. Prinzessin aus der
Welt der Fülle.
Lackmustest
für Regisseure.
Ein Alptraum
für den, dessen Hand zittert, ein Geschoß für den Orientierten.
Hat die
Vorstadtschickse genauso im Angebot wie den Hohen Ton der Klassik:
die Recha im
Nathan, die Nathalie im Prinz von Homburg oder die Nina in Tschechows Möwe.
Oder Sissy
als Rokokoschlampe. Hier tut nicht wer verrucht, hier kommt die Sünde festen
Schrittes durchs
Hauptportal.
Bodenhaftung
und Bühnenhysterie vögeln im Aufzug des Vier Jahreszeiten.
Mimose
spielt die Roßnatur.
Wenn der
Regisseur kein Depp ist, spielt sie trotz Bänderriß und Grippe, 29
Vorstellungen im Monat, in
sieben
Stücken und probt das Achte. Sie kann immer den Text, beherrscht jeden Song
nach einmal
Hören, singt
mit enormer Kraft Operette bis Rock, sicher intonierend selbst bei
schweißtreibenden
Choreographien.
Viel Yin und
Yang auf einem Fleck.
Kauft sich
ein Haus in Italien, der Mutter eine Wohnung in Hamburg, fährt MG und Jaguar
auf dem
überzogenen
Konto, das doppelte Löwenmädchen als Pleitenartistin. Bei ihr gibts kein
Herumgedeutel,
da ist kein
Platz fürs Karge.
Aus der
Zeit.
Aus einer
Zeit, wo mann Frauen brauchte, die zehn Kinder warfen, zwanzig Pferde
versorgten, Knechte
und Mägde
herumscheuchten, das Schloß wohnlich und den Steuereintreiber auf Distanz
hielten, nachts
ein querliegendes
Kalb herauszogen und bei allem noch den Dampf hatten, es dem Grafen zu
besorgen,
regelmäßig
und nicht zu dünn.
Sie kann
nichts dafür: Eine Löwin mit Löwenaszendent braucht immer den langen Roten
Teppich. Hat sie
einen
krummen Zehennagel, kommt nur Müller-Wohlfahrt in Frage. VIP Service vom ersten
Augenaufschlag bis zum Einschlafen auf dem Schloß.
Ein Auszug
aus dem Verehrerregister - unvollständig: Herbert Achternbusch, Dieter Dorn,
Maximilian
Schell,
Tobias Moretti, Michael von Au, Tankred Dorst, Habsburger Prinzen die Menge,
Rolf Boysen, Otto
Schenk,
Julian Nida-Rümelin, Automechaniker mit Geschmack, Dr.Hubert Burda, Helmut
Markwort, die
gesamte
Biermöslblosn, Musiker, Bühnentechniker, Bäcker und Passanten. Das Super Pin Up der
Hochkultur.
Heiratsanträge von allen Seiten.
Der
Pagesstil der Theatergarderobe: Erstens: Blumen, viele Blumen. Immer viele
besondere Blumen von
vielen besonderen
Verehrern.
Bei
Tankstelle der Verdammten war die Garderobe eine versiffte Disco, in der Free,
Rod Steward und
Queen laut
aus dem Kassettenrecorder plärrten, stroboskopisch erhellt von einer
phallus&hoden-artigen
Lichtplastik,
die Techniker ihr geschenkt hatten.
Als sie die
Möwe spielte war die Garderobe eine lichte russische Datscha, alles Leinen und
Rüschen in
ländlicher
Musik. Als Sissy bei Ludwig II. verwandelte sie die Garderobe in ein schäbiges
Wildwestetablissement, wieder mit der
Lichtplastik. Und jedes Stück braucht vor Beginn ein Ritual: Ludwig
muß ihr die
Spinne ins Dekolleté malen, Chuck muß den Reißverschluß zuziehen, ein anderer
kommt für
den Kuß auf
die besondere Stelle, und dann reicht SIE den stückspezifischen Drink:
Tankstellen Cocktail
oder Ludwig
Mix, wichtige Herren machen ihre Aufwartung, die Abendregie pocht artig an die
Tür, Zofen
aus Maske
und Schneiderei geleiten sie zur Bühne, Spiegel an der Wand prüfen ein letztes
Mal die
Staffage,
einsprühen mit Evian und hinaus. Keine Chance für den Alltag, jede Vorstellung
ein Fest.
Dem Monolog
Kleine Zweifel ging ein dreistündiges Vorbereitungsamt voran.
Frau Pages
begibt sich im seidenen Hausmantel in einen Friseursessel, wird zurückgekippt,
Garderobendame legt Aretha Franklin Kassette ein und stellt auf laut,
Maskenbildnerin beginnt mit Rasur
delikater
Stellen, Annika singt mit Aretha während man sie ganzkörpers mit ausgewählten
Spezerein
salbt,
Massieren und Eincremen, Kaffee wird serviert und Champagner, es klopft. Der
Regieassistent spitzt
herein,
lautes „Hinaus“-Geschrei. Die Schneidereidomina im Leopardenmusteroverall
stellt den Bittsteller
in hartem
Russenakzent zur Rede. Frau Pages, weit zurückliegend im flachgestellten
Behandlungsstuhl
wird sorgsam
mit dem Seidenmantel verhüllt. Die Leopardenmusterdomina führt den Bittsteller
in
gebührendem
Abstand an Frau Pages vorbei in den hinteren Teil des Raumes. Ein Vorhang wird
zugezogen,
Frau Pages wieder aufgedeckt. Nun darf der Bittsteller sprechen. Ums Eck über
den Spiegel
blinken ihn
Teile der nackten Venus an, ihm wird schwindlig, er weiß nicht mehr was er
sagen wollte.
Manches
Mädel denkt: was werd ich, Model oder Stewardeß, Zahnärztin, Staranwältin oder
Schauspielerin? Diese Kinder haben es gut. Waren die Vorfahren aber
fahrendes Volk seit 1475,
Schausteller
und Zigeuner, gibt es unter Eltern und Großeltern praktisch nur Schauspieler
und
Opernsänger,
dann hat das Kind keine Wahl. A.P. mußte zur Bühne.
Für sie gilt
nicht der Bismarck(?)spruch, die erste Generation schuftet, die zweite bringts
zur Blüte und die
dritte
studiert Kunstgeschichte. Sie wuchs in Weddingsbüttel auf, im Hamburger
Hasenbergl. Sie hat als
Kind morgens
auf der Treppe das Blut nächtlicher Schlägereien gesehen. Ihre Mutter, auch
Schauspielerin, brachte die vierköpfige Familie in einer
Zweizimmerwohnung durch. Immer waren Kinder
aus der
Nachbarschaft da und Gäste und der Ehemalige von Mama und die Ehemalige vom
Jetzigen, nie
Geld und
trotzdem kein Gejammer.
Die
Staatliche Hochschule in Hannover nahm sie auf Anhieb als Schauspielschülerin.
Nach einem
Semester
ging sie, -zuviel Psychobla im Stuhlkreis und bioenergetischer Voodoo.
Pagesmädchen sind
keine
Klientel fürs Esoterische, sondern Meisterinnen in artgerechter Männerhaltung.
Eine
Großmutter heiratete dreimal. Das letzte Mal ihre Jugendliebe. Ein Kapitän
hatte 60 Jahre lang auf
sie gewartet
und suchte sie auf, als seine Frau gestorben war. Es entwickelte sich eine
Liebesromanze, so
ungestüm,
daß die Hotelleitung an die Tür pochte. Die Großmutter starb mit 86 auf der
Treppe zum
Standesamt.
Wer solche
Vorfahren hat, kriegt mildernde Umstände.
Georg Ringsgwandl