Münchner Kammerspiele: Georg Ringsgwandl liest
4000 Seiten Sekundärliteratur und zündet "Ludwig II. -
die volle Wahrheit"
Lacher hier, Lacher da: Mit seiner Punkoper "Ludwig II."
aber hat sich der Musik-Kabarettist Georg Ringsgwandl
denn wohl doch zu viel aufgeladen.
Aufmüpfige Schräg-Poeten, ob Herbert Achternbusch, F. X.
Kroetz oder Georg Ringsgwandl, dürfen sich - das hat
Tradition - in den Münchner Kammerspielen austoben.
Kunstgerecht und gesellschaftskritisch. "Weiß-blaue
Geschicht'n" besonders willkommen. Und so ließ
Ringsgwandl just am letzten Tag des Jahres seine
Punkoper (Ringsgwandls eigene Kunst-Einordnung!)
"Ludwig II. - die volle Wahrheit" als Silvesterknallfrosch über
diese hehren Bühnenbretter knattern. Mit ihm selbst als
kindsköpfig abgedrehter Kini-Schwuchtel.
Es wäre nun gelogen, gäbe man nicht zu, mehrmals
herzhaft gelacht zu haben: Über die Schauspieler, vor allem
über Jörg Hube, der so amüsierlich zwischen sechs
verschiedenen Rollen (von Bismarck bis von der Pfordten)
pendelt, mühelos auch zwischen bayerisch, fränkisch und
berlinerisch. Geradezu hinreißend ist er als Kinis
Haushälterin im kleinen Servier-Schwarzen und mit breiter
Schmalzsträhne auf dem kahlen Schädel (Witz-Kostüme
von Ann Poppel). Schmunzelnd mußten wir natürlich auch
über Ringsgwandl, der wunderbar linkisch gegen die
Perfektion, den leichten Lacher, den Schönklang anspielt,
fistelig ansingt. Aber Titelrolle, Text - viel Text! -, Regie,
Bühnenbild, Musik, da hat der Kabarettist & Allrounder sich
wohl doch ein bisserl zu viel aufgeladen.
Durch den puffigen Revue-Palastschweben jedenfalls nicht
nur solch leichthändige Comic-Sketche wie das
Planungs-Gespräch zwischen Kini und Architekt überm
Gummi-Neuschwansteinmodell - zwecks diverser
WC-Möglichkeiten; fetzen nicht nur rasante Nummern wie
Kusine Sissis harter Bitt-Song für mehr Taschengeld. Anika
Pages in Mieder und Strapsen, prall mit Sex-Appeal und
musicalreif, wie die meisten Kammerspiele-Darsteller.
Das Tingeltangel-Spektakel wirkt immer wieder sehr
angestrengt. Wahrscheinlich hatte der fleißig
recherchierende Ringsgwandl die 4000 Seiten
Sekundärliteratur noch nicht ganz verdaut. Denn er klebt
ziemlich eng an der Königsvita, nudelt alles ab, bringt noch
Zeitgeistiges hinein, Kunsttheoretisches (van Gogh/Beck
bietet seine Sonnenblumen verkehrt, à la Baselitz an),
Gesellschaftskritisches. Solche Anknüpfungen ans Hier und
Heute haben jedoch eher nur die Schlagkraft eines nassen
Waschlappens.
Aber jede Menge Vergnügungs-Action liefern die Auftritte
der sieben wackeren Falckenbergschüler als
Badehauben-Wasserwacht von Berg am Starnberger See -
wollen Ludwig das Schwimmen beibringen! - als Protestler
aus dem Ammertal oder als Trachtler aus Rosenheim. In
solchen Glücksfällen stimmen knackiger Text zu
hintersinnigem, Tonfall und Blick.
Weniger glücklich war die Zusammenarbeit von
Ringsgwandl mit Stephen Galloway, prominenter Tänzer in
William Forsythes Frankfurter Ensemble, seit einigen
Jahren aber auch eigenständiger Choreograph. Ganz
offensichtlich konnte Galloway nicht so
zeitgenössisch-flippig loslegen, wie er's gekonnt hätte. Und
so schlingert die Ringswandl-Crew im Grunde mit den
immer gleichen heruntergewässerten Break- und
Funk-Floskeln durch diese Punkoper - die, hélas, auch
musikalisch nicht wirklich punkig abhebt. Die
Sechs-Mann-Band, verborgen hinter glitzerndem
Lametta-Vorhang, spielt unter Parviz Mir-Alis Leitung
sicherlich mit hörbarem Engagement die überwiegend
rock-rappende Musik und schwingt auch mal über zu Polka
und Walzer. - Bei der Uraufführung hatten drei königstreue
geheimbündlerische Kapuzenmänner vor den
Kammerspielen gegen diese "Blasphemie" protestiert. Der
König werde "verkannt, verarscht, vermarktet".
Wahrscheinlich haben sie festgestellt, daß Ringsgwandls
Stück mehr ein Faschingsscherz als eine
Ludwig-Schändung ist. MALVE GRADINGER