Dienstag,
16. November 1999 FEUILLETON M / F / B Süddeutsche Zeitung Nr. 265 /
Seite 18
Georg
Ringsgwandl
Glücklich
Welches Kunstwerk hat Sie zuletzt
zum besseren Menschen gemacht?
Oft
ärgere ich mich, wenn sie von den Plakatwänden herunterblecken und
selbstzufrieden aus dem Fernseher in mein Wohnzimmer grinsen. Ein paar Mal war
ich schon dicht dran, einen gesalzenen Brief ans Fernsehen zu schreiben. Mein
Mentor allerdings, als ich ihn das letzte Mal traf, sagte: Du hast selber eine
Riesenklappe. Ihr seid alle zu hoffärtig.
Xaver
war früher mein Beichtvater und lebt heute als Einsiedel bei Kohlgrub. „So viel
auftrumpfende Gebärde in der Welt“, sagt er, „und so wenig Grund dafür.“
Hoffart heiße die Pest unserer Zeit. Das Schlimmste sei, dass sie den Weg zu
tieferer Erkenntnis verbaue, der Hoffärtige wird zum relativen Deppen. Damit
hatte er mich. Er sagte: „Reinige dich vom Hochmut. Werde demütig. Öffne das
Fenster, lass kalte Luft herein, arbeite mit Gewichten. Die Schwere der Hanteln
zeigt dir deine Schwäche. Gymnastische Übungen vor dem Spiegel erinnern dich an
die Kümmerlichkeit deiner Gestalt. Dusche kalt und lese.“
Der Weg
zur Demut führe über die Lektüre gewisser Bücher. Ich fragte, ob ich
stattdessen nicht einfach ins Kino gehen könne. Das lehnte er ab: „Freilich
gibt es schöne Filme. Aus dem Kino kommst du aber bestenfalls gut unterhalten.
Bücher dagegen, Meisterwerke wohlgemerkt, erwecken deinen Geist, und du musst
vorher keinen Werbefilm ansehen. Lese dagegen ein paar Zeilen, und es beginnt
sich eine Welt zu regen, leuchtender als jeder Film.“
Ich war
skeptisch. Als erstes gab er mir „Winter Tales“ von Tanja Blixen. Ich wunderte
mich, dass Tanja Blixen schon tot ist, wo sie doch erst mit „Jenseits von
Afrika“ im Fernsehen war. Schon auf Seite eins musste ich „shroud“ nachschauen,
drei Zeilen weiter „trackle-yarn of the halliard“. Bis dahin hatte ich mein
Englisch immer für top gehalten. Seit Jahren höre ich Bayern 3 und verstehe
jeden Text von Modern Talking auf Anhieb. Jetzt aber ahnte ich, was der
Einsiedel mit „Demut lernen“ meinte. Die „Winter Tales“ sindsind
Kurzgeschichten ohne Bilder und mit kleiner Schrift, aber irgendwie pfiffig.
Ein Schiffsjunge befreit einen Wanderfalken aus dem verhedderten Garn am Großmast
und daraus entspinnt sich eine Erzählung wie früher am Kamin. Man liest so
dahin und ist traurig, wenn das Buch zu Ende ist.
Als
nächstes gab er mir „Die Goldinsel“ von Einar Karason. Ich war enttäuscht,
hatte einen Abenteuerroman erwartet. Trotzdem, ich hätte nie gedacht, dass
jemand das Gerödel in einer versifften Wellblechsiedlung am Rande von Reykjavik
so faszinierend beschreiben kann, dass es einen noch Wochen danach durch den
Alltag begleitet, vom Baumarkt in die Waschanlage bis zur Krebsvorsorge. Dann
gab’s „Der Mann, der die Bäume pflanzte“ von Jean Giono. Ein Schäfer pflanzt
Bäume in eine verkarstete Gegend, bis sie wieder grün ist, Bäche dort fließen
und Wildtiere einziehen. Außerordentlich. Er schafft was Großes und kommt in
keiner einzigen Talkshow.
Die
Bücher vom Einsiedel stehen nicht auf der Spiegel -Bestsellerliste. Er hört
auch nicht mehr aufs Literarische Quartett. Er kauft Bücher nicht neu, sondern
fingert die Antiquariatsschachteln vor Buchläden durch. An sich mag ich lieber
Geschichten mit Action, CIA jagt Fremdenlegionär, der einem Model das Leben
rettet und eine Alien-Attacke mit Laserwaffen abwehrt. Aber die Meisterwerke
der fröhlichen Demut haben einen besseren Menschen aus mir gemacht.
Zuletzt
gab mir der Einsiedel „High Fidelity“ von Nick Hornby. Drei Nichtsnutze in
einem Gebrauchtschallplattenladen in einer Seitenstraße von London. An sich
eine Zumutung. Aber: du lernst eine andere Welt kennen und siehst hinterher die
eigene mit anderen Augen. So bin ich zwar noch nicht ganz frei von Hoffart,
weiß aber jetzt, wie ich sein sollte.
Georg
Ringsgwandl ist Rock-Kabarettist, Arzt und Regisseur. Sein Musical „Ludwig II.
– die volle Wahrheit“ läuft an den Münchner Kammerspielen.
©
Süddeutsche Zeitung 1999