MÜNCHNER KULTUR Samstag, 17. Februar 2001
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Die Eleganz des Scheiterns

Wenn Georg Ringsgwandl am Küchentisch philosophiert und musiziert, kommt dabei eine ,,Gache Wurzn" heraus


Was Georg Ringsgwandl über seine Musiker sagt, kann man nur schlecht eins zu eins drucken. Einerseits. Andererseits ist es ja so, dass das Leute-Ausrichten, wie man es in Bayern nennt, wenn man recht grob über andere herzieht, fest zum Ringsgwandlschen Programm gehört, quasi eines seiner wichtigsten und unvermeidlichen Kunstgriffe ist. Und so wird aus Skip, Nick und Tak halt eine Krattler-Kombo: drei heruntergekommene Musikanten, die der Ringsgwandl angeblich irgendwo aufgesammelt hat und die sonst ganz gewiss überhaupt keinen Job mehr bekommen hätten, wenn halt nicht zufällig dieser bayerische Musik-Kabarettist vorbeigekommen wäre, der dringend eine Begleitband brauchte.

So ungefähr erzählt er das, der GeorgRingsgwandl, auf der Bühne, auf seiner ziemlich nagelneuen Website (www.ringsgwandl.de), aber auch am Küchentisch jener Wohnung in Untersendling, in der er seit vielen Jahren gelegentlich übernachten kann, wenn er gerade in München zu tun hat. Die Besitzerin der Wohnung kennt er schon seit Ewigkeiten, sie macht die Fotos für seine Platten, und jetzt hat er in ihrer Wohnküche eine Platte gemacht, zusammen mit Nick, Skip und Tak. Denn wo, bitte, sollte man mit derart verkrachten Musikerexistenzen denn sonst etwas aufnehmen, im Studio vielleicht? Da dürfen die doch nicht einmal rauchen, vergiss es!

Das alles klingt natürlich recht abenteuerlich, ist aber nicht völlig falsch. Die abgerissenen Musiker sind zwar keineswegs so tragische Gestalten, wie GeorgRingsgwandl sie zeichnet; immerhin zählt Nick Woodland zu ihnen, und der ist der wohl beste lebende Blues-Gitarrist zwischen Reichenhall und Flensburg. Und die Platte wurde zwar tatsächlich im vergangenen Jahr an zwei Novembertagen in der Untersendlinger Wohnküche aufgenommen, kommt aber trotzdem am 5. März mit dem Titel ,,Gache Wurzen" (was sich mit ,,steile Wurzel" nur sehr unzureichend übersetzen lässt) in den Handel - und ist schlichtweg ein Meisterwerk geworden. Denn Ringsgwandl hat hier wieder einmal zurückgefunden zum Einfachen, Ungekünstelten, Unsentimentalen: etwas, das schon seine 93er-Platte ,,Staffabruck" ausgezeichnet hatte. Elf Stücke gibt es auf ,,Gache Wurzn", entspannter, vermeintlich unspektakulärer Rhythm & Blues, geadelt durch Woodlands ungemein flüssige Soli, und alles groovt so locker daher wie schon lange nicht mehr auf irgendeiner Platte aus deutscher Produktion. Wenn's langt. So etwas kriegt man wohl in einem sterilen Studio wirklich nicht hin, da darf es vielleicht gar nicht mehr sein als zwei kleine Verstärker für Gitarre und Bass, eine Snare-Drum und eine kleine Trommel, damit das so klingt.

Was könnte besser passen zu den Geschichten, die Georg Ringsgwandl erzählt, und zu der Art, wie er sie erzählt? Es scheint, als ob er wieder zurückgefunden hätte zu den einfachen, undramatischen Geschichten über ,,Menschen, die immer irgendwie furios scheitern, das aber mit einer gewissen Eleganz". So etwas beobachtet er schon immer mit großem Interesse, das fasziniert ihn. Und so kommen die kleinen Leute auf die Platte: der ,,Brucknwirt", der den nervenden Lebensmittelkontrolleur mit dem Schnitzelhammer erschlägt, der unscheinbare Verkaufsvertreter (,,er heißt Peter Schmidt, und genauso schaut er aus"), der sein Leben unfreiwillig beendet, indem er nachts mit dem Auto in einen liegen gebliebenen Lkw rauscht, und der Harley-Sepp aus dem ,,Schluckspecht", der mit den Spezln drüber streitet: ,,Wer hat den schlimmsten Unfall gehabt, wer die meisten Kilometer".

Wenn Ringsgwandl erzählt, in seinen Liedern, auf der Bühne oder am Küchentisch, dann ist er kaum zu bremsen. Auch noch die größten Absonderlichkeiten kommen da ganz lakonisch und zugleich saukomisch daher, weil er sie eben vermeintlich emotionslos beschreibt. Er schaut zu und sagt: ,,So ist es halt"; wie ein Krankenhausarzt, der er ja 15 Jahre lang bis 1993 gewesen ist, diagnostiziert er die gesellschaftlichen Krankheitsbilder, mit trockenem Witz und immer wieder amüsiertem Erstaunen über die menschliche Komödie um ihn herum.

Das war schon immer sein Ding. Wer ihn nur für den schrillen bayerischen Musikclown hält, kennt ihn nicht. Die Sympathie für die Verlierertypen, die verkrachten Existenzen und die Durchschnittsfiguren zieht sich durch seine Programme, seit er 1977 im damaligen ,,MUH" zum ersten Mal auf einer Bühne stand, bis hin zu seinen beiden Musicals ,,Tankstelle der Verdammten" und letztlich auch zu ,,König Ludwig II. - Die volle Wahrheit", das bis vor einem Jahr höchst erfolgreich an den Kammerspielen lief. Denn ist nicht auch der königliche Ludwig eine irgendwie tragische Nummer gewesen? Ein Verlierer, der gerne ein absolutistischer Herrscher gewesen wäre und sich stattdessen ständig mit Geldmangel, Ministern und Hofschranzen herumschlagen musste, wenn er eben mal ein Schloss bauen wollte?

Auch Ludwig zwei wollte es halt krachen lassen, so wie esRingsgwandl auf der Bühne krachen lässt, und wie es seine Figuren gerne krachen ließen, wenn sie es denn könnten und sich nicht doch von Zeit zu Zeit mit zehn Halben und 17 ,,Kurzen" begnügen müssten, weil das Leben sonst nicht mehr hergibt als zwei Zimmer, Küche, Bad und einen Fernseher. Weil es halt Leute gibt, ,,die machen einen Laden auf und kein Geschäft". Wenn's nicht gar schlimmer kommt, wie es in einem Lied auf ,,Gache Wurzn" beschrieben ist: ,,Für manche ist das Leben vorbei, bevor es losgeht, es schleppt sich so dahin, und dann ist's aus. "

Das klingt recht traurig und trostlos, ist es aber nicht, denn - so der Doktor Ringsgwandl - alles ist letztlich eine Frage des Stils, und die Lebensfreude gibt es nicht für Geld, dafür am allerwenigsten. Fast schon programmatisch ist da das erste Stück auf der Platte, das wunderschöne Chuck-Berry-Cover ,,You Never Can Tell", das von einem jungen Paar erzählt - er Kundendienstmonteur, sie Starfriseuse beim Dorffriseur -, und dessen Refrain die Ringsgwandlsche Philosophie schön auf den Punkt bringt: ,,So kann's gehen, sagen die Alten, irgendwie wird's schon werd'n. "

Freilich, das muss einmal deutlich gesagt werden, gibt es natürlich auch Arschlöcher unter den Menschen. Auf ,,Gache Wurzn" ist das der ,,Gartennazi" aus dem sauberen Vorstadtviertel scharf rechts hinterm Mond, ,,wo die Straßen Vogelnamen haben, Amselstraße, Finkenweg", und die Mama jeden Samstag früh im Küchenschurz den Gehsteig kehrt. Da hört sich einfach jede Sympathie auf. Und mit einem Mal versteht man es, warum der ehemalige Kardiologe und Intensivmediziner GeorgRingsgwandl so gerne Rock'n'Roll macht, mit seinen verlebten Musikern im Kombi zu den Auftritten fährt und Platten in Wohnküchen aufnimmt. Das echtere Leben ist das allemal, und wenn man dann noch etwas Glück hat, kommt dabei auch ein Meisterwerk wie ,,Gache Wurzn" heraus. (Georg Ringsgwandl spielt mit seiner Band am 1. und 2. März in der Elserhalle. )
FRANZ KOTTEDER


Bildunterschrift:

,,Das Leben schleppt sich so dahin und dann ist's aus": Ringsgwandl beschreibt auf seiner neuen Platte Leben und Leiden der kleinen Leute.

Foto: Roswitha Pross