Zwischen Spessart und Karwendel
Die Journalistin Renate Just und der Liedermacher Georg Ringsgwandl
erhalten heute den Ernst-Hoferichter-Preis
Die eine schreibt seit mehr als 20 Jahren Reportagen für Zeitschriften
von Merian bis SZ-Magazin , der andere hat sich als Liedermacher-Anarchist
etabliert: Renate Just und Georg Ringsgwandl. Gemeinsam haben beide, daß
sie heute den Ernst-Hoferichter- Preis erhalten - und noch ein, zwei andere
Dinge.
Ringsgwandl: Wissen Sie, daß ich bei Ihnen mal in der Wohnung
war? Ungefähr 1977, einen Abend lang? Bei einer gewissen Elke
. . .
Just: Ja, in deren Wohnung haben wir mal jemand hingebracht oder
abgeholt.
Ringsgwandl: Ich hab das nur noch in Erinnerung, weil das für
mich damals so ein bizarres Erlebnis war. Ich weiß nicht mehr genau,
worum es gegangen ist. Irgendwer hat ein Verhältnis mit seinem Psychoanalytiker
gehabt. Ich war damals ein schlichter Bub vom Lande und hab’ gedacht: „Sowas
Abgefahrenes!“
Just: Ich war’s nicht, ich kann mich auch nicht daran erinnern. Aber
solche Geschichten gab’s damals natürlich.
SZ: In dieser Zeit hat doch auch Ihre Karriere angefangen, Frau Just?
Just: Ja, 1976. Ein Freund von mir beim Zeit-Magazin hat das angeleiert.
Ich hatte vorher kaum etwas geschrieben, und die haben mich gleich losgeschickt.
Bei der ersten Reportage habe ich 30 Seiten geschrieben. Das war natürlich
schlecht und viel zu lang. Naja, aber dann ist es halt losgegangen.
Learning by doing.
Just: Ja, ich habe nur eine minimale Ausbildung, kurz nach dem Abitur
habe ich hier in München zwei Jahre beim winzigen AP-Agenturbüro
volontiert, Nachrichtenjournalismus gemacht und alles vom Gewerkschaftstag
bis zu Autounfällen. Dann habe ich angefangen, Lehrer zu studieren,
und danach ging’s in einer Schleife zurück zum Journalismus. Eigentlich
unerwartet.
Herr Ringsgwandl, Sie haben ja eigentlich auch was Anständiges
gelernt.
Ringsgwandl: Naja, ob das so anständig ist . .
. Aber ich habe gelernt, wie man sich am Leben erhält, ja. ’74 war
ich schon mit dem Studium fertig und hab dann gewerkelt als Assistenzarzt
im Klinikum Großhadern.
Just: Jetzt sind Sie aber nicht mehr Arzt, oder?
Ringsgwandl: Nein, ich habe gemerkt, daß man sich auch ohne anständigen
Job über Wasser halten kann.
Just: Ich habe mich gefragt, ob Sie noch in Garmisch leben, oder
. . .
Ringsgwandl: Nein, in Murnau.
Just: Das ist auch eine Gemeinsamkeit, weil ich die Gegend sehr gut
kenne. Da haben wir auch mal gewohnt. Das habe ich gerne gemocht.
Offensichtlich ziehen Sie beide das Landleben vor.
Ringsgwandl: Nein, da täuschen Sie sich. Das Leben auf dem Land
ist für mich ein reiner Opfergang. In Garmisch habe ich es 14 Jahre
lang ausgehalten, weil ich da gearbeitet habe. Und jetzt hat meine Frau
halt in Murnau eine Praxis und die Kinder ihre Schule. Aber ich tät
auf Dauer nicht auf dem Land draußen leben. Da passiert ja nichts.
Anders als in den größeren Städten – wovon München
ja nur ein matter Anfang ist. Für jemanden, der sich irgendwie geistig
beschäftigen muß, ist das Land die Wüste.
Just: Das bestreite ich. Bei uns ist es wirklich Wüste, das ist
im nördlichen Landkreis Mühldorf, da ist rundherum nichts. Und
Ruhe ist für geistige Beschäftigung doch ein großer Vorzug.
Ich komme zum Lesen, ich komme zum Arbeiten, ich habe Luft und Raum und
Weite.
Ringsgwandl: Ein Tag, zwei Tage ist es ganz schön. Aber ich brauche
das Toben von diversen menschlichen Charakteren um mich herum. Das ganze
wuchernde Chaos der menschlichen Gesellschaft.
Just: Kann aber auch sein, daß einen das wuchernde Chaos der
menschlichen Verschiedenheiten erstickt.
„Sie müssen schreiben wie ein blinder Hund mit 22“
Ringsgwandl: Das ist aber der Stoff, aus dem die guten Sachen kommen.
Was mich am Land draußen komplett narrisch macht, das ist dieser
Stumpfsinn. Daß jemand spazierengeht, und dann ist Blasmusik, und
Bazar in der Adventszeit, und alle vier Monate Technodisco bis um halb
elf abends. Und alle 75 Kilometer gibt’s ein „Moulin Rouge“, wo die Bauern
zum Ficken hinfahren.
München scheint Ihnen aber auch nicht richtig zu gefallen...
Ringsgwandl: München hat schon ganz viel von diesem Schwachsinn.
Zum Beispiel diese Schwellen, die hier in diesem Viertel gebaut werden,
weil nämlich ein paar verrückte grüne Volksschullehrerinnen
meinen, das muß so sein, und überall machen’s einen kleinen
Baum hin, und dann wird die Fahrbahn verschmälert und am Schluß
fahren lauter grüne Kommunalreferenten mit dem Radl durch die Gegend...
Das alles hat München in einem erdrückenden Maß und das
Land in tobendem Ausmaß. Das Land hat nach wie vor ein Faschismuspotential,
das gewaltig ist.
Just: Das bestreite ich ja gar nicht!
Ringsgwandl: Als geistiges Gebiet ist es einfach bodenlos, weil es
auch irreal ist. Die Welt ist nicht so wie Garmisch oder Tegernsee oder
Bad Wörishofen. Das sind ja Reservate.
Just: Nein, große Teile der Welt sind so, große Teile sind
Provinz. Es ist sehr exakt, wie Sie das beschreiben, aber es gibt eine
Art von Befriedung da draußen, die nicht immer bloß deppert
sein muß.
Es kommt wohl auch darauf an, woraus man seine Inspiration bezieht.
Bei Ihnen, Frau Just, scheint es eher die Ruhe zu sein...
Just: Naja, meine Arbeit hat sich auch überwiegend woanders abgespielt.
Mir war die Ruhe ein Bedürfnis, nach so vielem lächerlichen Unterwegssein
und lächerlich schnellen Abwechslungen.
Sie arbeiten ja auch immer weniger als freie Journalistin?
Just: Ja, bei meinem Alter im freien Journalismus, das ist haarig.
Ringsgwandl: Sie wissen zuviel, sie haben zuviele Skrupel, das ist
das Problem. Sie müssen einfach so schreiben wie ein vollkommen blinder
Hund mit 22, der das Gefühl hat, er hat alles kapiert und er zeigt’s
ihnen. So muß man schreiben.
Just: Man merkt in jeder Beziehung, daß Sie ein anderes Temperament
sind als ich. Wahrscheinlich wären Sie viel besser in meinem Beruf.
Frau Just, gibt es denn für Sie noch irgendeine Herausforderung
im Journalismus? Ihr Buch „Einpersonentisch mit Aussicht“ wirkt etwas resignativ.
Just: Ich mache gern kleinräumige, abwegige, möglichst detaillierte
Sachen, zum Beispiel gerade ein Buch über kleine Reisen, nicht über
den Brenner hinaus. Das hab ich überhaupt sehr gerne: Fremd zu sein
in Situationen, die einem eigentlich vertraut sind. Jede Art von Kleinstadtthematik
interessiert mich. Und das sind so die Themen, die Magazine überhaupt
nicht mehr interessieren.
Ringsgwandl: Glaub ich nicht.
Just: Doch, doch.
Ringsgwandl: Sie gehen da jetzt nicht irgendwelchen puritanischen Selbstprophezeihungen
auf die Leimrute? Es gibt in der deutschen Geisteslandschaft so eine Haltung,
daß die Welt schlecht ist und immer schlechter wird. Immer mehr Fastfood
regiert, die guten Bücher werden nicht mehr gelesen, und irgendwann
ißt man bloß noch vegetarisch und trinkt verdünnten Tee,
irgendwann nur noch Wasser, und dann macht man plötzlich den Sargdeckel
zu und verschwindet.
Und was für Möglichkeiten hat in dieser Geisteslandschaft
die Satire?
Ringsgwandl: Die Möglichkeit, daß du in einem Spektrum von
öffentlichen Einschätzungen und Meinungen die kritischen, wohlwollenden
Teile der Gesellschaft so ein kleines bißchen unter den Armen kitzelst.
Das ist die Funktion von Satire: Die Leute, die aufgeschlossen sind und
guten Willens, werden damit etwas unterstützt. Du änderst nicht
die Haltung von jemandem, aber der „gute“ Teil der Gesellschaft hat damit
ein Solidaritätserlebnis.
„Der fetteste Preis ist, wenn man Kulturreferent wird“
Das sehen Sie auch als Ihre Aufgabe?
Ringsgwandl: Ja, weil die kulturelle Landschaft anders aussehen würde,
wenn es nur Karl Moik, Bryan Adams, Peter Maffay und so Zeug gäbe.
Und manchmal hast du die Möglichkeit, daß du eine bekannte Form,
die in allen Menschen schlummert, so in Verse faßt, daß die
Leute sagen: Genau, so ist es.
Und das schafft man etwa mit einem Schrottmusical wie „Die Tankstelle
der Verdammten“ an den Kammerspielen? Das Stück fällt dort ja
schon aus dem Rahmen.
Ringsgwandl: Das ist natürlich als Gegensatz inszeniert. Das ist
ja so ein putziges Jugendstiltheater, mit den Boutiquen außenrum.
Deswegen sollte es so dreckig werden, wie es nur irgendwie geht. Ja, und
dann sagst du: Hey, hoffentlich schauen’s ein paar Leute an, hoffentlich
überleb ich so lang, bis die nächsten Preisgelder eintrudeln.
Wie etwa der Ernst-Hoferichter- Preis.
Just: Ja, da war ich total überrascht - und natürlich auch
erfreut. Ich hab dann ein paar alte Texte vom Hoferichter gelesen, die
findet man ja nur noch im Ramschkasten. Ich habe nicht vor, über den
Hoferichter zu lästern, im Gegenteil. Es gibt immer schöne Einzelbeobachtungen
drin, aber irgendwie ist mir das alles doch zu sehr „Goldenes München“.
Ringsgwandl : Das hat er vielleicht dadurch abgebüßt, daß
er den Preis gestiftet hat. Das ist ein feiner Zug. Mit der fetteste Preis
wäre natürlich, wenn man Kulturreferent wird, oder Kommunalreferent.
Mit 200 000 Mark im Jahr inklusive China-Reisen. Und einer Dienstwohnung
von 400 Quadratmetern am Isarufer für 500 Mark. Das wär mein
Ding. Dann tät ich schreiben wie ein Gott.
Interview: Franz Kotteder / Antje Weber