MÜNCHNER KULTUR Samstag, 23. September 2000
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Gott mit Vokuhila

Im Wiesn-Teufelsrad ist in Wirklichkeit eine höhere Macht am Werke, weiß der Kabarettist und Autor Georg Ringsgwandl


Wiesn ist eine Riesengaudi, braucht man nicht groß erzählen. Manchmal sogar eine Mordsgaudi, wie damals beim Bombenangriff vom Neonazi. Aber das waren, Gott sei Dank, bisher Ausnahmen. Normalerweise geht alles seinen geregelten Gang.

Genauso zuverlässig wie das erste Anzapfen durch den OB ist die jährliche wiesnzeitige Wiederkehr von Moralaposteln, welche die Sinnlosigkeit dieses Treibens geißeln. Sie beschwören die Gefahr sittlicher Entgleisungen unter dem Einfluß von Wiesnalkohol, warnen vor Unregelmäßigkeiten beim Ausschank und zählen die Kunden der Sanitätsstation. Aber, gottseidank, keinen der aufs Oktoberfest geht, schert das Genörgel.

Im Gegenteil, die Leute sagen: natürlich gehen wir wieder, laßt uns ein schönes Platzerl bei Bräurosl buchen oder sonst was Nettes. Viele haben heute ihre eigene Wiesentracht, andere leihen sie sich bei Freunden und Bekannten. Und natürlich fließt dann Bier. Das Hendl, der Schweinsbraten, die Breze, alles sehr salzig, alles macht durstig. Zwei, drei Maß sind schnell beisammen. Dann kommt die Musik dazu, die vielen Leute, das laute Reden, all das steigt in den Kopf.

Letztes Jahr am Familientag sah ich, wie einer auf dem Kettenkarussell zu kotzen anfing. Er zog eine lange bröckelige Flüssigkeitsfahne wie einen Kometenschweif hinter sich her und die Zuschauer kreischten in hellem Entsetzen. Es war dann aber nicht so schlimm, weil durch die Höhe, in der die Sessel kreisen und die hohe Drehgeschwindigkeit der Mageninhalt so fein verteilt wurde, daß jeder nur minimal was abbekam. Aber das sind Einzelerscheinungen.

Die Leute gehen ja nicht bloß zum Saufen und Grölen auf die Wiesn. Es gibt dort nämlich sowohl Augenblicke von fürchterlichem Erschrecken als auch Sekunden höchsten Glücksgefühls. Wenn man Looping fährt zum Beispiel oder Frisbee. Momente, die über das normale Maß alltäglicher Erfahrung hinausweisen. Das verstehen wir nicht so ganz, deshalb fesselt es uns. Dafür gehen wir hin. Es gibt Experten, die das alles wissenschaftlich erklären wollen, aber so ganz gelingt es ihnen nicht. Man kann das Oktoberfest meinetwegen auch gerne als Riesenbesäufnis abtun. Kann man. Es kann aber auch ganz anders sein, nämlich so: Gott läßt es geschehen, er sagt: Jessasmaria, von mir aus, ist doch nur eine Messe unter vielen. Wenn aber soviel Leut kommen, ist der Teufel nicht weit, und wenn der da ist, möchte ich da auch einen Stand haben. Er sagt natürlich nicht wo. Er weiß genau, wenn außen in großer Leuchtschrift ,,Stand Gottes" draufsteht, geht sicher keiner mehr hin, und wenn dann die falschen. Und weil ER ein Fuchs ist, heißt SEIN Stand ,,Teufelsrad".

Der Eintritt ist nur vier Mark für Erwachsene, ER braucht keine komplizierte Hydraulik. Sein Fahrgeschäft ist ein verkleinertes Abbild des Erdenrunds. Eine Scheibe von sechs Metern Durchmesser, in der Mitte leicht nach oben gewölbt wie die nördliche Halbkugel. Außen herum ein Ring Parkett und dann die Schaumgummibande in Meerblau.

Menschen, die meinen, schon alles gesehen zu haben, kommen herein und denken, wir schauen bloß mal so zu. Deren Eitelkeit reizt er. Heute steht er in Bundlederhose auf der Kanzel, in der Maske des spitzbäuchigen Landconferenciers, das weißblaue Rautentaschentuch über dem Mikrophon.

In freundlichen Worten lockt er sie auf die Scheibe. Was ist, Männer, gibt's überhaupt noch Männer? Du da, mit deinem selbergestrickten Sturzhelm (eine Wollmütze), was ist, tuast net mit? Schließlich steigen zwei spittelige Skins in den Ring, Springerstiefel und Barrashosen, ein langer mit Stiftenkopf und ein kleiner mit Zahnspange. Ein milchgesichtiger Jungtrachtler macht den Schiedsrichter. Auf gehts, Bääda, sagt Gottvater, fahr ma zua. ER braucht keine Computersteuerung, der Heilige Petrus bedient zwei Schalthebel. Einen zum Gasgeben und einen für die Richtung. Wenns zu grob wird beim Boxen, beschleunigt er kurz oder dreht in die Gegenrichtung und schon purzeln die Soldaten durcheinander. Kein irdischer Sozialarbeiter hat prügelnden Skins je so prägnant die Grenzen gezeigt. Gruppenfahrt, sagt ER, auf geht's, meine Herrn, wos is? Ein Pulk Männer versammelt sich in der Mitte der Scheibe. Genau, sagt ER, sitzts euch sauber hin, ja du auch, du hast einen reservierten Platz.

Abfahrt, die Scheibe beginnt sich wieder zu drehen, Halbvollgas, sagt ER. Ganz allmählich rutschen ein paar vom Zentrum weg. Aha, sagt ER, werdn ma unwuchtig. Denn SEIN Humor ist trocken. Dann reißt es sie von der Scheibe weg, in größeren Trauben zusammengehakt schießen sie auf die blauen Bande zu. Bevor sie noch zu sich kommen, scheucht sie ein Erzengel in Jeans und Lederjacke auf die Tribüne. Immer weniger sind es, die sich noch oben halten können. Schließlich bleibt einer übrig, der es sich in der Mitte gemütlich macht. Der könnte noch lange so weiterfahren, wenn ER nicht eingriffe. Bääda, sagt er, die Birne!, alles Gute kommt von oben. Petrus, ein fetter Brünetter mit Vokuhilalocken, sitzt links neben IHM auf der Kanzel und greift sich das Hanfseil, welches über eine Rolle an der Decke zu einem Medizinball führt. Den läßt er über dem Erdling schwingen, der sich mit der Scheibe noch immer flott im Kreise dreht. Er versucht natürlich, die Birne im Auge zu behalten. Aber irgendwann läßt Petrus den Ball etwas tiefer kommen, und dann gibt es einen Schlag, der die meisten an die Bande fegt. Heute sitzt da aber ein besonders Zäher. Der holt sein Handy aus der Gürteltasche und telefoniert ganz ungeniert, - auf SEINEM Teufelsrad! Na guat, sagt ER, laß ma'n telefoniern und damma nachher weiter. Denn SEINE Geduld ist groß. Als der Erdling mit der Birne nicht wegzufegen ist, läßt der Erzengel ein loses Hanfseil auf die Scheibe treiben, das sich in Schlingen um die beige Hose legt, bei der im Schritt die Naht immer weiter aufgeht. Der Mensch aber ist zäh. Er schafft es trotz Vollgasrotation, Petrus' Birne auszuweichen und befreit sich immer wieder aus dem Seil. Bis ER den zweiten Erzengel mit dem zweiten Seil ruft. Da reißt es jeden. Letzter Zug nach Miesbach, schnarrt ER durchs Mikro, und der Erdling fährt in einem eleganten Bogen in die blaue Bande.

Natürlich gibt es auf der Wiesn auch den Teufel, aber auch der gibt sich nicht einfach zu erkennen. SEIN Messestand aber ist das Teufelsrad. Genial, einfach und von zeitüberdauerndem Unterhaltungswert.

Wenn Gottvater genug hat, kommentiert sein Sohn das Treiben und läßt die Damen auf der Scheibe zum Beispiel Hula-Hupp tanzen zu Anton aus Tirol.

Sie sollten unbedingt zu Feldl's Teufelsrad gehen. Es gibt keinen besseren Humor, nicht im Radio und nicht im Fernsehen. Naja, keine Kunst, werden jetzt viele sagen, bei SEINER Erfahrung.

GEORG RINGSGWANDL


Bildunterschrift:

Es gibt keinen besseren Humor: Ringsgwandl als Zuschauer.

Foto: Prager


,,Aha", sagt ER, ,,werdn ma unwuchtig": das Teufelsrad auf dem Oktoberfest in Aktion.

Foto: Heinz Gebhardt