Der jodelnde Nichtschwimmer
Silvestergaudi an den Kammerspielen: Georg Ringsgwandl und sein
Musical „Ludwig II.“
Die ganze Wahrheit über Ludwig II. erfährt man auch in Georg
Ringsgwandls neuem Bühnenspektakel nicht, aber eigenwillige Details.
„Er war ein ungebildeter, verwöhnter, rotzarroganter, verschwendungssüchtiger
Dandy, der sich für was Besseres hielt und für den die Masse
des Volkes dumpf und dumm war.“ Sagt Ringsgwandl. Er muß es wissen,
hat er doch zahlreiche Briefe von passionierten Ludwig-Forschern erhalten
und sich durch Tausende Seiten von Sekundärliteratur gewühlt.
Was auch deshalb sehr viel ist, weil der bayerische Rockkabarettist „normalerweise
gar nichts liest“ für das, was er macht. Aber trotz seiner Recherchen
wolle er gerade kein Historiendrama erzählen, bei dem die sentimentalen
Leute zu schluchzen anfangen. „Wer das will, muß nach Füssen
fahren.“
Dort, am Rande des Forggensees und mit malerischem Blick auf Schloß
Neuschwanstein, wird gerade ein 1400 Plätze bietendes Tourismus-Theater
für ein Musical gebaut, das täglich den Mythos vom bayerischen
Märchenkönig wiederaufleben lassen will. Die Premiere für
dieses einmalige Weihespiel, zu dem Franz Hummel die Musik komponiert (als
Ersatz für den derzeit uninspirierten Konstantin Wecker), soll Silvester
1999 stattfinden. Genau ein Jahr früher avanciert der in unzähligen
Filmen und Büchern zur Kitsch-Ikone hochstilisierte Alpenmonarch nun
an den Münchner Kammerspielen zum Musiktheater- Helden: „Ludwig II.“
als Punkoper (Uraufführung am morgigen Donnerstag um 18 Uhr).
So etwas kann nur jemand ausbrüten, der besonders schrill und
schräg drauf ist. Und so von sich überzeugt, daß er, ähnlich
wie schon bei seiner letzten Kammerspiel-Produktion „Die Tankstelle der
Verdammten“, am liebsten gleich alles selber macht: die Musik („Eine Mischung
aus Rock, Polka, Rap, Walzer, HipHop und einigen Wagner- Akkorden“), die
Texte („Wenn’s frivol und lustig wird, wird gereimt oder gejodelt“), das
Bühnenbild („Ein Königspalast mit Showtreppe, Strip-Bar und wasserblau
glitzernder Discotanzfläche“) und die Kostüme (gemeinsam mit
Ann Poppel). Zudem führt er Regie und spielt auch noch die königliche
Hauptrolle. Nur die Choreographie stammt von Stephen Galloway, der unter
anderem das Tanzkonzept für die Rolling Stones - Show entworfen hat.
Ist das nicht zuviel für einen allein? „Natürlich ist es Schwachsinn,
all das zu machen“, sagt Ringsgwandl, aber er habe einfach das Arbeitsaufkommen
„total unterschätzt“.
Hinzu kamen personelle Ausfälle, die ihn an den „Rand des Herzinfarktes“
brachten. Zunächst sprang Thomas Holtzmann ab, weil ihm die Arbeitsweise
mißfiel, wenig später wurde dann Christa Berndl krank. Deshalb
drohte die Produktion Ende Oktober auseinanderzubrechen. Und weil auch
die beiden (hochkarätigen) Ersatzverpflichtungen Jörg Hube und
Rufus Beck wochenlang außer Gefecht gesetzt waren (Hube durch ein
gerissenes Außenband, Beck durch einen entzündeten Knieschleimbeutel),
konnte schließlich erst im November richtig losgelegt werden. Dann
aber mit anarchischem Drive: „Ich probiere und verwerfe ja ständig
und baue gerne die Ideen der Schauspieler mit ein. Hube und Beck lieben
dieses offene System, denn sie können bei mir all die Faxen machen,
die sie sich sonst verkneifen müssen.“ Weshalb nun auch eine „verrückte,
abgedrehte und durchgeknallte“ Aufführung enstanden sei.
Verrückt muten allein schon die insgesamt 68 Rollen an, die im
fliegenden Wechsel von Annika Pages, Georg Ringsgwandl, Jörg Hube,
Rufus Beck, Wolfgang Menardi und sieben Falckenbergschülern gespielt
und gesungen werden. Neben Ludwig, Sissi, Richard Wagner und Graf Dürckheim
treten Bismarck, drei bayerische Ministerpräsidenten, Dr. Gudden,
Cosima Wagner, Zofen, Ministranten, Bauern, Trachtler, Gangsterrapper,
drei Eigenheimbesitzer, ein Architekt, ein Kardinal, ein Zahnarzt, ein
Friseur, ein Attentäter, diverse Ludwig-Doubles sowie Vincent van
Gogh auf. Ob der jemals dem bayerischen Sonnenkönig begegnet ist,
muß zwar stark bezweifelt werden, auf der Bühne aber dürfen
die beiden gaudihalber über ihre konträren Kunstauffassungen
fachsimplen, mit dem Ergebnis, daß sich der Maler schließlich
ein Ohr abschneidet und zurück in die Psychiatrie geht. Auch die Wasserwacht
von Berg am Starnberger See tritt bei diesem satirischen Schnelldurchlauf
durch Ludwigs kurzes Leben (1845–1886) in Erscheinung. „Gewandet in zitronengelbe
Taucheranzüge, wollen sie Ludwig dazu überreden, einen Schwimmkurs
bei ihnen zu machen.“
Womit wir bei der interessanten Frage wären, welches Finale das
Stück bereithält. Interessant deshalb, weil es bis heute ganz
unterschiedliche Theorien über das geheimnisumwitterte Ableben des
Monarchen gibt. Ist er im Geisteswahn ertrunken? Wurde er erdrosselt? Hat
ihn der preußische Geheimdienst erschossen? Und war es wirklich die
Leiche von Ludwig, die da im trüben Wasser gelegen hat? Es sei ja
nicht mal ganz sicher, sagt Ringsgwandl, ob der für Schlösser
und Männer gleichermaßen schwärmende Bayernkönig sich
tatsächlich in der Gruft der Michaeliskirche befindet. Denn beharrlich
weigern sich die Wittelsbacher, der Öffnung des Sarges und also auch
der Entnahme von Gewebeproben zuzustimmen.
Ringsgwandl selbst hält es für sehr wahrscheinlich, daß
Ludwig – nachdem er im Juni 1886 entmündigt und als Regent abgesetzt
worden war – bei einem Fluchtversuch umgekommen ist. „Kann schon sein,
daß der hagere Dr. Gudden den 1,91 Meter großen und 150
Kilo schweren Ludwig angeschossen hat. Und während er verblutet ist,
hat er seinen Psychiater ertränkt.“ Welche Todesversion auf der Bühne
zu sehen sein wird, verrät er jedoch nicht. Nur daß die sechsköpfige
Live-Band (in ihr spielen unter anderem die bewährten Szene- Musiker
Nick Woodland und Klaus Reichardt) gebührend laut aufspielt und am
Ende noch eine Zugabe geben wird.
Dann erzählt Ringsgwandl noch ein wenig beleidigt von dem Devotionalienhandel,
der ursprünglich in der Pause vorgesehen war. „Ich wollte mit der
Annika heiße Würstchen und einen Bauchladen voller CDs, Schneekugeln
und anderem Merchandising-Kram im Theaterfoyer feilbieten.“ Das habe ihm
die Kammerspielleitung aber leider untersagt. „Die Stadt scheint für
solche Gags noch nicht reif zu sein.“
Ist München wenigstens reif für diese Punkoper? Für
dieses „rotzfreche Kasperletheater“ (Ringsgwandl), das so lange wie ein
Fußballspiel dauert, keine romantisch- verklärte Schlittenfahrt
zeigt und eine „sehr viel gepflegtere Tonart“ anschlage als noch die Schrott-
Operette „Die Tankstelle der Verdammten“ und deshalb zum Beispiel auch
– großes Indianerehrenwort – ganz ohne das Wort „ficken“ auskomme.
Wenn nicht: „Vielleicht machen wir mal eine Tourneevorstellung in Füssen.“
SVEN SIEDENBERG