Die Welt 02.01.99
Königstreu mit beschränkter Haftung
Ringsgwandls Punk-Oper "Die volle Wahrheit über Ludwig II." in zwei Stunden

  Von Armin Eichholz

  München ­ Er war nie im Hausarchiv der Wittelsbacher. Um so mutmaßlicher kennt er die vorletzten Worte von
  König Ludwig II., dem „Kini", bevor der anno 1886 mit seinem Arzt Dr. Gudden im Starnberger See ertrank:
  „Ich lasse es noch einmal so richtig krachen!"

  Jahrelang juckte es den führenden Bayern-Popstar und Songpoeten Dr. med. Georg Ringsgwandl, daraus statt
  der immer noch ausstehenden kgl. bayer. Prunkoper eine krachende Punk-Oper zu machen, ohne Rücksicht auf
  Verluste bei Heimatvereinen und Neuschwanstein-Mythologen. Jetzt hat er in den Münchner Kammerspielen
  dieses Attentat verübt: als Sylvester-Uraufführung unter dem Titel „Die volle Wahrheit über König Ludwig II.".
  Noch nie war eine bayerische Wahrheit derart volltrunken mit Pep & Pop, daß extra ein Rauschberater mitspielen
  muß. Ja und auch die Preißn interessiert's, haben sie ihn doch ebensofest (Bismarck sei Dank) in ihrer heimlichen
  monarchistischen Herzenskammer „beschlossen" wie weiland Walther seine Liebe.

  Der berechtigte Ringsgwandl-Sound, ob Blues, Rock 'n' Roll, Rap, Polka, HipHop etc., ist aus einem
  bayerischen Guß, wie ein schlampig herausgebrochenes Stück Standbild aus dem Hinterteil der Bavaria. Alles
  vielfach stammtischgeprüft von Brüdern in Kellern und Kneipen. „Meine Leute kommen aus der Verliererklasse",
  sagt er, „also Maurer, Installateure, Handwerker, Schwarzarbeiter . . . ­ der sprudelnde Quell des Lebens",
  übersetzt er's für die Hochkulturjournale. Hinter ihm stehen über 100 000 CDs mit bajuwarischen
  Delikateß-Titeln wie „Gaudibursch vom Hindukusch", „Gurkenkönig", und „Jodeltee vom Tegernsee".

  Für Szene-Forscher verdächtig: Ringsgwandl behauptet mit lässigem Sarkasmus: „Ich bin ein Multidilettant."
  Offensichtlich liefert er überall die Parodie gleich mit, stolziert und stapft und hüpft und schlüpft in
  Anführungszeichen, wie in seinem ersten Schrottmusical „Die Tankstelle der Verdammten". Da war er als Chuck
  „die zerfaulende Ratte in der sozialen Hängematte" und tobte herum wie ein Heavy-Rumpelstilzchen. Als sei alles
  noch ein Hobby vom „Rock Doc" Ringsgwandl, vormals Kardiologe und Oberarzt in Garmisch-Partenkirchen.

  Sein turbo-dokumentarisch witzelndes Seifen-Opus Magnum mit nicht einem, nicht zweien, sondern grad vier
  toten Ludwigs zum Heraussuchen. Wer bleibt da nicht zwei Stunden königstreu mit beschränkter Haftung? Vor
  einem rot gleißenden Hintergrund mit Mini-Hollywoodtreppe und Rutschbahn regiert Ringsgwandl in
  porträt-bekannter Uniform wie eine unwillige Primaballerina. Mal Schwanensee, mal Bayern-Calypso, mal
  Knieschnackler („Ich regier mir hier noch einen Wolf!"). Standes- und neigungsgemäß um ihn strammes
  Dancing-Personal (von der Falckenbergschule): Pagen, die Wasserwacht von Starnberg, Trachtler, Bauern,
  Kleinhäusler, vor denen der geliebte Kini seine absolutistische Nichtvolksverbundenheit heraushängen läßt.

  Unter den sechs Rollen von Jörg Hube ist der preußisch knarzende Bismarck (1866 was in die Fresse, 1870 was
  in die Schatulle) die applausträchtigste. Und die fünf Partien von Rufus Beck gipfeln in einem
  alleruntertänigst-parasitären Richard Wagner („Ich bin Gesamtkunstwerk"), der hoffentlich keinen Erben
  aufscheucht.

  Die österreichische Kaiserin Sisi, live oft tödlich gelangweilt, outet sich in Gestalt der Annika Pages als
  Party-Hexe, die mit Bein, Stimme, Blick alles niedermähen müßte, wenn es nicht so ein verklemmter
  Männerhaushalt wäre. Daß der in Form bleibt, ist dem Stones-Choreographen Stephen Galloway zu danken ­
  wenn auch eine gewisse Perfektion dem Clown in Ringsgwandl nicht mehr entspricht. So gerät auch der
  vorzügliche Wolfgang Menardi als ephebischer Graf Dürckheim in eine Gastrolle als nichttanzender Danseur
  noble.

  Ständig angeheizt durch eine kompetente Münchner Band wurde zuletzt auch das Publikum zur rhythmischen
  Applausmaschine. Auf verlorenem Posten vor dem Theater: drei schwarz Vermummte mit den einsilbigen
  Schutzschilden „Blas-phe-mie". Dagegen hilft nur eins: Karte kaufen.