Von Armin Eichholz
München Er war nie im Hausarchiv der Wittelsbacher.
Um so mutmaßlicher kennt er die vorletzten Worte von
König Ludwig II., dem „Kini", bevor der anno 1886 mit seinem
Arzt Dr. Gudden im Starnberger See ertrank:
„Ich lasse es noch einmal so richtig krachen!"
Jahrelang juckte es den führenden Bayern-Popstar und Songpoeten
Dr. med. Georg Ringsgwandl, daraus statt
der immer noch ausstehenden kgl. bayer. Prunkoper eine krachende
Punk-Oper zu machen, ohne Rücksicht auf
Verluste bei Heimatvereinen und Neuschwanstein-Mythologen. Jetzt
hat er in den Münchner Kammerspielen
dieses Attentat verübt: als Sylvester-Uraufführung
unter dem Titel „Die volle Wahrheit über König Ludwig II.".
Noch nie war eine bayerische Wahrheit derart volltrunken mit
Pep & Pop, daß extra ein Rauschberater mitspielen
muß. Ja und auch die Preißn interessiert's, haben
sie ihn doch ebensofest (Bismarck sei Dank) in ihrer heimlichen
monarchistischen Herzenskammer „beschlossen" wie weiland Walther
seine Liebe.
Der berechtigte Ringsgwandl-Sound, ob Blues, Rock 'n' Roll, Rap,
Polka, HipHop etc., ist aus einem
bayerischen Guß, wie ein schlampig herausgebrochenes Stück
Standbild aus dem Hinterteil der Bavaria. Alles
vielfach stammtischgeprüft von Brüdern in Kellern
und Kneipen. „Meine Leute kommen aus der Verliererklasse",
sagt er, „also Maurer, Installateure, Handwerker, Schwarzarbeiter
. . . der sprudelnde Quell des Lebens",
übersetzt er's für die Hochkulturjournale. Hinter
ihm stehen über 100 000 CDs mit bajuwarischen
Delikateß-Titeln wie „Gaudibursch vom Hindukusch", „Gurkenkönig",
und „Jodeltee vom Tegernsee".
Für Szene-Forscher verdächtig: Ringsgwandl behauptet
mit lässigem Sarkasmus: „Ich bin ein Multidilettant."
Offensichtlich liefert er überall die Parodie gleich mit,
stolziert und stapft und hüpft und schlüpft in
Anführungszeichen, wie in seinem ersten Schrottmusical
„Die Tankstelle der Verdammten". Da war er als Chuck
„die zerfaulende Ratte in der sozialen Hängematte" und
tobte herum wie ein Heavy-Rumpelstilzchen. Als sei alles
noch ein Hobby vom „Rock Doc" Ringsgwandl, vormals Kardiologe
und Oberarzt in Garmisch-Partenkirchen.
Sein turbo-dokumentarisch witzelndes Seifen-Opus Magnum mit nicht
einem, nicht zweien, sondern grad vier
toten Ludwigs zum Heraussuchen. Wer bleibt da nicht zwei Stunden
königstreu mit beschränkter Haftung? Vor
einem rot gleißenden Hintergrund mit Mini-Hollywoodtreppe
und Rutschbahn regiert Ringsgwandl in
porträt-bekannter Uniform wie eine unwillige Primaballerina.
Mal Schwanensee, mal Bayern-Calypso, mal
Knieschnackler („Ich regier mir hier noch einen Wolf!"). Standes-
und neigungsgemäß um ihn strammes
Dancing-Personal (von der Falckenbergschule): Pagen, die Wasserwacht
von Starnberg, Trachtler, Bauern,
Kleinhäusler, vor denen der geliebte Kini seine absolutistische
Nichtvolksverbundenheit heraushängen läßt.
Unter den sechs Rollen von Jörg Hube ist der preußisch
knarzende Bismarck (1866 was in die Fresse, 1870 was
in die Schatulle) die applausträchtigste. Und die fünf
Partien von Rufus Beck gipfeln in einem
alleruntertänigst-parasitären Richard Wagner („Ich
bin Gesamtkunstwerk"), der hoffentlich keinen Erben
aufscheucht.
Die österreichische Kaiserin Sisi, live oft tödlich
gelangweilt, outet sich in Gestalt der Annika Pages als
Party-Hexe, die mit Bein, Stimme, Blick alles niedermähen
müßte, wenn es nicht so ein verklemmter
Männerhaushalt wäre. Daß der in Form bleibt,
ist dem Stones-Choreographen Stephen Galloway zu danken
wenn auch eine gewisse Perfektion dem Clown in Ringsgwandl nicht
mehr entspricht. So gerät auch der
vorzügliche Wolfgang Menardi als ephebischer Graf Dürckheim
in eine Gastrolle als nichttanzender Danseur
noble.
Ständig angeheizt durch eine kompetente Münchner Band
wurde zuletzt auch das Publikum zur rhythmischen
Applausmaschine. Auf verlorenem Posten vor dem Theater: drei
schwarz Vermummte mit den einsilbigen
Schutzschilden „Blas-phe-mie". Dagegen hilft nur eins: Karte
kaufen.