SZ 05.01.95

Die Tankstelle der Verdammten

Eine 'lausige Operette' von Georg Ringsgwandl in Köln uraufgeführt

Manchmal kommt man wohin und weiß nicht, daß man mitten im Leben ist. Ein cooler Raum - überall Spiegel, die Möbel aus schwarzlackiertem Blech, vor den Fenstern Rollos - eine Kulisse, wie in einem alten Film. Wenn man die Lamellen am Fenster auseinanderspreizt, erhascht man einen Blick vom Treiben auf der Straße: Schwarz gewandete Gestalten eilen auf das Lokal unter dir zu, um es sich in schummrigem Licht auf schwarzen Möbeln zwischen Spiegeln gemütlich zu machen. Und Musik dröhnt. Das hat Stil, in der gekünstelten Nüchternheit etwas sehr Fernes. Und doch ist man mitten drin in der Kölner Szene, empfindet das wenig später als ideale Einstimmung auf die 'Schlosserei' in der Halle Kalk, der alternativen Spielstätte des Kölner Schauspiels. Der Intendant Günter Krämer hat hier das erste Bühnenwerk des bayerischen Musikers und Entertainers Georg Ringsgwandl inszeniert, 'Die Tankstelle der Verdammten'. Die Menschen, die in diese imponierend mächtige, kalte Industriehalle eilen, haben etwas Theatralisches, und das Theater, das ihnen geboten wird, kommt aus einer vergangenen Zeit. Aber der Jubel des Publikums für diese Uraufführung macht klar, daß man hier mitten im Leben ist. Man weiß nur nicht, warum. Beklatscht wird Gerd Köster, eine zünftig verhaute Gestalt aus der Kölner Musikszene, der Chuck (Jacques) Dreher spielt, einen Gelegenheitsrock'n'rollgitarristen, der unversehens in seine Vierziger- Jahre geraten ist und immer noch von der großen Karriere träumt. Beifall bekommen Caroline Schreiber, die als Chucks Freundin Angie (mit quäkendem Baby) im Leder-Minirock etwas Erotik ins Spiel bringt, Ralph Morgenstern, der als Chucks Mutter und Glitzerglücksfee zwei Travestienummern aufs schräge Bühnenparkett legt, die Band namens Treibstoff, die Ringsgwandls musikalische Nummern, Reminiszenzen an die 50er und 60er Jahre, interpretiert. Freundlichste Zustimmung auch für Lutz Schmidt als Gebrauchtwagendealer Rainer, der sehr fein die Ringsgwandlsche Gesangsdiktion kopiert, für Thomas Schendel, den Tankwart und Currywurstbrater, und für einen Schäferhund, der immer mal wieder durch Ulrich Schulz' äußert cooles Szenenbild schleicht. Der Hund mag ein realistisches Detail für den Handlungsort sein, hier auf der Bühne aber hat er etwas von einer Notlösung. Man weiß ja, daß Schauspieler nichts so sehr fürchten, als mit einem Kind oder einem Hund konkurrieren zu müssen, weil die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Regisseur Günter Krämer scheint den Hund dringend gebraucht zu haben. Krämer liebt das Musiktheater. Dialoge sind da eher lästig. Krämer hat sich von dieser Last befreit und Georg Ringsgwandls musikdramatischen Erstling, den dieser selbst als 'lausige Operette' bezeichnet, weitestgehend auf die Musiknummern beschränkt. So wirkt 'Die Tankstelle der Verdammten' wie ein Ringsgwandl-Potpourri, in dem man den wunderbar schrillen, schrägen Interpreten Ringsgwandl schmerzlich vermißt, weil hier alles so brav weder zum Musical noch zur Anti-Show gerät. Auf der Bühnenschaukel zwischen Dieselzapfsäule, Altreifen und Würstlbraterei wabbern drei im sozialen Abseits vom schöner Leben Träumende herum, bedrängt von Wohlstandsgestalten (Alexander Grill und Therese Dürrenberger) und fallen schließlich in den Graben, wo sie Der Grausige Karl und dessen Eheweib attackieren: Die Verdammten im Purgatorium - da zaubert Regisseur Krämer mit Nebel und kleistert alles zu, zum coolen Dekorationsspiel, in dem der Kampf mit den Mikrophonkabeln noch das Spannendste, weil Lebendigste ist: Eine Erinnerung an alte Zeiten, in denen Ringsgwandls Hoffnungslose auf bessere Zeiten hofften, von denen Krämer aber nichts erzählt. THOMAS THIERINGER Bildunterschrift/Tabelle: WENN DER NEBEL WALLT, LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN: Georg Ringsgwandls 'Die Tankstelle der Verdammten' wird in Günter Krämers Kölner Uraufführungsinszenierung zur Endzeit-Müllkippe. Photo: Klaus Lefebvre