NZZ 05.03.93

Komischer Vogel Der Musiksatiriker Dr. med. Ringsgwandl auf Schweizer Tournee

   Eines werktäglichen Winterabends in Berlin. Im düstersten Kreuzberg drängen sich Menschen zu Hunderten in ein evangelisches Gotteshaus, um einen Exoten aus Deutschlands wildem Süden zu erleben. Es tritt auf der Doktor Ringsgwandl aus Garmisch, hauptberuflich ehrenwerter, leicht angegrauter Internist und Kardiologe am dortigen Kreiskrankenhaus, heute abend aber: komischer Vogel (mit kompetenter Begleitband). Das Licht wird fahl, herein hüpft eine schummrig schillernde Gestalt, grell geschminkt, wiedehopfig stehen die Haare zu Berge. Nun wird ein perfekt arrangierter Klangteppich ausgerollt, auf dem sich in den nächsten zwei Stunden die Skurrilitätenkaskade eines Bühnenbesessenen abspielt. Und das in einer Kirche. Ja darf er denn das?    Ringsgwandl, ein scheinbar sprechender Name, wie erfunden und doch bloss angeboren, steht für eine Kunstform, die sich kategorisch der Kategorisierung versperrt, für eine Kunstfigur, die jeder Beschreibung spottet. Seine Art des Aussenseitertums erschöpft sich allerdings nicht in der kritischen oder parodistischen Verneinung alles Dagewesenen. Ringsgwandl hält vielmehr der übrigen Branche unversöhnlich seine ganz persönliche Auffassung von Unterhaltungskunst entgegen. Faszinierend an diesem Sonderling ist dabei nicht zuletzt der Umstand, dass er sich relativ leicht in seine künstlerischen Bestandteile zerlegen lässt. Da gibt es ein nicht allzu innovatives musikalisches Vielerlei, vom verfremdeten Volkslied über Marsch und Blues bis hin zu Rock und Rap; da gibt es textliche Grenzgängereien zwischen gut deutsch gezimmerten Versen und brüchig bajuwarischen Ungereimtheiten, die sich thematisch vorwiegend um Alltäglichkeiten, um von Wahnsinn umwehte Nichtigkeiten drehen; da gibt es schliesslich eine Bühnenshow, die zwischen überschäumendem Klamauk und rhetorischem Konfrontationskurs Richtung Publikum oszilliert. - Alles Elemente, die man von da und von dort kennen mag, die zusammen aber eine unvergleichliche stilistische Eigenständigkeit ergeben.    Georg Ringsgwandl pflegte sich schon in den Siebzigern auf Münchens Vorstadtbühnen von der Medizin zu erholen. Damals war dort jeder willkommen, der eine Gitarre halten konnte. Als er von diesen «hausbackenen Kleinkunstzuständen» genug hatte, tat sich der Arzt auf seinen feierabendlichen Abwegen mit ein paar ehemaligen Go-go-Girls zusammen und platzte mit einer schrillen «Hausfrauen-Revue» denkbar unpassend in die gerade beginnende Punkzeit, die in Deutschland «neue Welle» hiess. Nach endlosen Tourneen durch Ober- und Niederbayern verselbständigte sich Ringsgwandl von neuem, tastete sich allmählich an die Vorstellung einer musikalisch und dramaturgisch etwas anspruchsvolleren Show heran, umgab sich 1985 mit den dazu nötigen Berufsleuten, woraus in den folgenden beiden Jahren zwei Platten entstanden.    Und mit den Tonträgern kam der Durchbruch, aus den spärlich bevölkerten Kellern wurden volle Konzertsäle, Hallen, aus dem Hobby wurde ein Nebenberuf, der nach dem nicht zu knappen Arbeitstag eines Oberarztes in Garmisch die Abende und die Ferien ausfüllte. Seitdem vor Jahresfrist Ringsgwandls drittes Album unter dem programmatischen Titel «Vogelwild» herauskam, ist der Herr Doktor praktisch pausenlos auf Tournee. Obwohl er sich auch jetzt noch konsequent dem Kommerz verweigert (und entsprechend in Funk und Fernsehen kaum zum Zug kommt), reicht sein Ruf längst über die bajuwarischen Sprachgrenzen hinaus. Ringsgwandl hat vom Bernbiet, wo er dieser Tage eine kleine Schweizer Konzertreise beginnt,* bis hinauf in Deutschlands nördlichsten Norden ein breites Publikum (und inzwischen auch eine gute Presse, vom Kieler Lokalblatt bis hin zum «Zeit»-Feuilleton).    «Mein Programm hätte nicht diesen realen Druck, wenn ich nicht 18 Jahre lang durch eine Knochenmühle gegangen wäre», erzählt Ringsgwandl in einem Gespräch. Dennoch hat er sich, nach reiflicher Überlegung, eben beurlauben lassen, weniger wegen der Doppelbelastung als wegen des «krankhaft bürokratischen Spitalbetriebs, wo statt fachlicher Brillanz nur dumpfe, milchkuhartige Konstanz verlangt wird». Ausserdem könne man die Welt letztlich auch nicht aus dem Material bewältigen, welches das Krankenhaus Garmisch hergebe . . . - «Work in progress» lautet Ringsgwandls unabänderlicher Leitsatz. Im Spital ist er offenbar an Grenzen gestossen, als Künstler aber hat er sein Potential längst nicht ausgelotet. Die unstillbare Neugier dieses Getriebenen manifestiert sich allein darin, dass er seine Bühnenshow ständig umkrempelt, obwohl ohnehin kein Abend wie der andere verläuft. Ringsgwandls berüchtigte Conférencen zum Beispiel entstehen immer aus dem Moment heraus, selbst wenn die Spontaneität ab und zu zum dramaturgischen Schiffbruch führt.    «Entweder es passiert was, oder es wird was erfunden», heisst es in einem balladesken Blues. - Auf jegliche Stagnation reagiert Georg Ringsgwandl mit geradezu grimmigem Veränderungswillen. Dieser positive, lebensbejahende Grundzug erreicht das Auditorium selbst durch noch so dick aufgetragene Schichten von satirischem Schimpf und provozierter Schande und macht inmitten der sinnentleerten Unterhaltungsindustrie wohl viel von der Faszination des «Vogelwilden» aus. Deshalb ist der seltsame Herr Doktor in der Kreuzberger Kirche gar nicht so fehl am Platz.             Richard Reich