APPLAUS - Münchner Kultur-Magazin - Mai 97

RINGSGWANDL

Eine kleine Sensation: Er war schon des öfteren in München, doch diesmal ist es nicht nur ein Gastspiel: Georg Ringsgwandl wird im großen Haus der Kammerspiele sein eigenes Stück selbst inszenieren - und als Schauspieler und Sänger agieren. APPLAUS traf ihn während der Proben.

Ist's ein Musical, oder ist es keins? Georg Ringsgwandl - Rockkabarettist, Songpoet und neuerdings Bühnenautor - nennt das Stück ein "Schrott-Musical". Das hat freilich mehr mit der Innenwelt seiner Figuren zu tun als mit dem Genre. Die Kammerspiele bleiben vornehm, sprechen von einem "Stück für singende Schauspieler". Und Georg Ringsgwandl ist gleich vierfach präsent - als Autor, Regisseur, Komponist und singender Schauspieler. Seine Rolle des Tino, eine der fünf Figuren, skizziert er handgreiflich:
"Der hat's mit den Nieren. Deswegen hat er bei BMW ins Lager müssen, vorher war er Motorradtestfahrer. Jetzt arbeitet er in der Tankstelle. Er macht die Bierdos'n auf, kontrolliert den Kühlschrank und betreibt den kleinen Frittenstand, wo er Regensburger, Pfälzer und Currywurst grillt. Klar, nach wie vor ist er die alte Kurvensau."
Das Milljöh läßt sich förmlich erschnuppern. Als Opening hat Ringsgwandl dem Tino ein stolperig gereimtes Loblied auf die Currywurst geschrieben. Mit Kopfstimme zu singen. Das geht so:

"Currywurst, bleibst du mir treu,
Fürcht ich Hölle nicht und Teu-
-fällst du aber aus zu kroß,
Straf ich dich mit Ketschup-Soß'.
Liegst so da in deinem Oil
meinem Elend ein Symbol.
Prophezeist Verhutzelung
Mir in der Verbruzzelung.
Noch mal bissi Curry drauf,
steigert den Getränkeverkauf."

Vom Rhein hinab nach Bayern drang 1994 das Kritikerlob der "Tankstelle der Verdammten". Der furchtlose Intendant Günther Krämer hatte Ringsgwandls erstes Musiktheaterstück am Kölner Schauspiel uraufgeführt, in einer Fabrikhalle. Die Produktion wurde ein Renner am Rhein: aus den vorgesehenen zehn wurden 60 triumphale Aufführungen. Für Ringsgwandl war es ein doppeltes Debut. Im Jahr zuvor hatte er seinen Hauptberuf als Klinik-Oberarzt in Garmisch-Partenkirchen an den Nagel gehängt, seitdem lebt er als freier Autor, Komponist und Show-Profi mit eigener Band; das Gärtnerplatztheater hat für 1998 sein Ludwig II.-Musical angekündigt.

"Die Tankstelle der Verdammten" erzählt die Geschichte von Chuck Dreher, dem abgehalfterten Rockgitarristen, von seiner Freundin Angie und den Freunden, die eigentlich seine Family sind. Den Chuck spielt Manfred Zapatka, von dem man weiß, daß er ein ausgezeichneter Sänger ist. Lieber schräg als fein. Annika Pages ist die Angie, ein taffes Großstadtgirl, und Stephan Kampwirth spielt Herrn Prittwitz, einen halbseidenen Anwalt, der sich überall einmischt. Verkrachte Existenzen allesamt, immer mit starkem Rückenwind und nicht geringem Alkoholkonsum, der die Phantasie beflügelt. Chuck grölt aus dem Tief: "Ich bin die zerfaulte Ratte in der sozialen Hängematte. Skrupel sind mir fremd, und mein Gewissen ist verhornt."

Ringsgwandl: "Die nennen das ihre Tankstelle. In Wirklichkeit ist's ein Schrottplatz in einem Vorort von München. Auf dem steht ein alter Bus, verreckt und von Vandalen ausgeschlachtet. Da hab' ich (Tino) meinen Frittenstand, ohne Lizenz vom Kreisverwaltungsreferat. Dort treffen sich die Typen immer und besprechen, was Sache ist. Sie planen den endgültigen Durchbruch, die individuelle Karriere. Sie haben zwar ein Tief, grad' die zwei Stunden, wo sie in den Kammerspielen sind. Nachher aber starten sie groß durch. Das sind ja Durchblicker alle miteinander. Wir, die Doktoren, sehen das anders. Die aber sehen sich als absolute Gewinner, sie fühlen sich nicht als Looser. Sie haben eine kräftige Lebensfähigkeit, sind keine Sozialfälle, auch wenn sie immer pleite sind."

Es gibt noch die Figur der Fee. Bringt sie - mit sanftem Flügelschlag - die Wende? "Das ist eine recht ambivalente Figur, eine rotzige, eine mokante Fee. Erst mal ist sie die Mutter von Chuck, dann mutiert sie zur Fee. Sie ist der destillierte mütterliche Weingeist, um's geschwollen zu formulieren. Für mich repräsentiert sie die zwei Seiten des Frauseins: Die eine, die dafür sorgt, daß die Waschmaschine repariert wird, die Pragmatische. Die andere, das Wesen mit Flügeln, schwebt befreit von aller Erdenschwere. Die pflegt auch einen anderen Ton, den abgehobenen Oberton." Die Doppelrolle Mutter/Fee spielt Jörg Hube. Öha. Ringsgwandl ergänzt: "Wichtig ist, daß dem Chuck seine Lügenkonstruktion aufgedeckt wird. Der Teppich wird ihm weggezogen." Übrigens liegt der Geschichte eine reale Begebenheit zugrunde. Unter anderem gab es in den 80ern einen leidenschaftlichen Gitarristen, der nach einem schweren Verkehrsunfall nicht mehr auftreten konnte. "Die Handlung ist ein Konglomerat von Erlebnissen und Erfahrungen. Ich kenne dieses ganze versiffte Musikermilieu."

Als Theaterregisseur ist Ringsgwandl absoluter Neuling: "Die Angst besiegt man, indem man rangeht und dran arbeitet. Ich hab' das Stück durchgearbeitet, ein paar Songs neu geschrieben, die Geschichte verschlankt und mir Gedanken über die Bühne gemacht. In den Kammerspielen herrscht eine offene, kooperative Atmosphäre. Vom Pförtner über die Sekretärin bis zum Intendanten. Das Schöne am Bühnengewerbe ist ja, daß keine Zeugnisse gefordert werden. Es darf jeder rauf, ohne daß man ein Diplom vorzeigen muß. Der Werner Schwab hat auch keinen Drehbuchkurs besucht und Achternbusch auch nicht. Das Beste, was am Theater passieren kann, ist doch, daß ab und zu eine Frischblutinfusion von der Außenseite daherkommt." Drei Musiker der Sechs-Mann-Combo kommen aus Ringsgwandls eigener Band. Unter anderem Nick Woodland, der wunderbare Gitarren-Partner. Bei Probenbeginn zeigt Ringsgwandl wenig Zweifel über seine Doppelfunktion als Regisseur und Schauspieler. Und wenn, meint er, seien Warnungen jetzt zu spät. Aufgewachsen ist Ringsgwandl in Staufenbrück, einem Ort bei Reichenhall in sogenannten kleinen Verhältnissen. Er wurde Arzt. Daneben eroberte er sich, gern in provokant schrillem Clownskostüm, als "Valentin des Rock'n Roll" die Showbühne. Hat sich - sozusagen als zweites Ich - der geheime Wunsch nach dem Künstlerberuf in die Öffentlichkeit gespielt?

"Ganz im Hintergrund war das schon in meinem Kopf. Aber von meiner Erziehung her hätte ich mich das nie zu fragen, kaum zu denken getraut. So ein unsicherer, geldloser Beruf ohne Aussichten! Mein Vater, er war gelernter Tapezierer und Polsterer, hat nach dem Krieg als Postbote gearbeitet. In seinem ganzen Leben hat er immer künstlerische Beschäftigungen verfolgt. Er war ein kleiner Philosoph, ein Heimwerker-Philosoph. Immer hat er an einem Problem gearbeitet. Als junger Bursch malte er Aquarelle im Dürer-Stil. Später, so um die 70, hat er halb abstrakt gemalt. Man kann sagen, er hat für sich die Entwicklung der Malerei noch einmal erfunden. So ein Zuhause hat uns natürlich geprägt. Da hat nicht so eine wohlstands-orientierte Vordergründigkeit geherrscht. Wir waren eine emanzipierte Familie: Nach dem Essen hat der Papa das Zeug weggespült. Die Mutter hat auch gearbeitet. Das war ein gleichwertiges Verhältnis, damals schon. Heute würde man's hochgestochen eine Partnerschafts-Ehe nennen."

Viel Wärme und eine zarte, verstohlene Heiterkeit ist in Ringsgwandls Gesicht, wenn er von frühen Tagen erzählt in "Staffabruck". Das ist der Titel einer CD über die kleine Heimat, wo es die Oma gab, schöne weiße Winter mit Rodelschlitten und Rotznasen. Und auch Prügel.

Ingrid Seidenfaden


Christina Preuß, 25.4.97