SZ 26.05.97

Das Bier ist heilig

Ringsgwandls „Tankstelle der Verdammten“ in München eröffnet

In Bier geschlanztes Requiem auf den Rock ’n’ Roll. Die letzten und abgefahrensten, aber brillant besten Musiker hocken in einer Bus-Ruine, aus der selbst der begabteste Tandler kein Kapital mehr schlagen könnte. Weggeknickt das Cockpit, löchrig der Boden, eingeschlagen die Scheiben. Fast drei Stunden lang glotzt das Publikum auf diese von Elin Doka hinreißend ausgestattete Idylle, in der neben einer Pommes-Bude auch der Showdown der Verdammten dieser Welt ein passendes Zuhause gefunden hat. Die Verdammten – das ist vor allem Bayern-Dissident und Musikkabarettist Georg Ringsgwandl. In langbefranster Lederjacke, schmierig roter Hose und langer Mähne tritt er an den Münchner Kammerspielen mit seinem vor zweieinhalb Jahren in Köln uraufgeführten „Schrottmusical“ (so der Untertitel) „Die Tankstelle der Verdammten“ auf, in dem sich Musik und Dialoge etwa die Waage halten. Er hat sich hinter dem Pseudonym Chuck versteckt, aber keine Sekunde lang wird er deshalb von seinen Fans verkannt. Denn als Schauspieler hat Komponist, Texter und Regisseur Ringsgwandl nicht viel zu melden. Er rutscht im Bier aus und fällt unter Publikumsgejohle auf die Schnauze, haspelt seinen Text herunter, vernuschelt die Pointe seiner Currywurstzangenstory, und wenn er singt, moonwalkt er so stereotyp von links nach rechts wie in seinen Konzerten. Allein, was tut’s? Der Meister ist dabei und macht den Einspringer für den erkrankten Manfred Zapatka in der Hauptrolle. Georg Ringsgwandl läßt in seiner – laut Programmheft dem Leben abgeschauten – Musikerdämmerung nichts aus. Er reimt „Gimpel“ auf „simpel“, „soziale Ratte“ auf „Hängematte“ und dichtet Weisheit: „Leben, ich versteh dich nicht, Rätsel, Phänomene. Sind wir nur das Trampolin fürs Rumgehops der Gene?“ So fabuliert er über den arbeitslosen Gitarristen und Leistungstrinker Chuck und die Urangst eines jeden Künstlers vor dem kreativen Blackout: Absturz des verkannten Genies ins soziale Abseits, Unvereinbarkeit von Berufung und Alltagstrott und Traum von der letzten großen Chance. Dafür ist Ringsgwandl jedes Mittel recht. Das Bier ist das Weihwasser seiner Regie, mit dem jede nur erdenkliche Charge, Banalität, Plattheit und Jahrmarktswitzelei abgesegnet wird. Besessen und mit Hingabe wird ständig geschruppt und geputzt. Angie tut es, Frau Dreher tut es, alle tun es. Doch so viel Dreck war nie, und die bürgerlichen Besen können nichts mehr retten. Trotz des knuddelig augenkullernden, in jedem Moment tapsig den dummen August herauskehrenden Michael Tregor (Loser in Würstchenbude und Werkstatt) schleppt der Abend anfangs fad im Rhythmus. Weil Ringsgwandl als Schauspieler zuviel Sand ins Getriebe streut. Das ändert sich erst, als SIE erscheint. Die riesige Brust gepanzert mit einem Tiger-T-Shirt, an dem noch das Preisschild baumelt; blauer Minirock, riesige Schleife über der Schulter, Sprühstab, mephistophelisches Häubchen und äußerst feminin die Männerbeine: Jörg Hube schwebt im verklärenden Licht als Deus ex machina und gute Fee lang vor dem tödlichen Ende aus dem Schnürboden herab. So geschehen Offenbarungen, zumindest auf dem Theater. Denn Hube kann als einziger mit Ringsgwandls verbrauchten Worthülsen umgehen. Obenhin listig ironisiert er sie, so daß immer die böse Pointe scheinheilig durchschimmert. Hube schafft den Spagat zwischen greller Schmiere und unsentimental hingerotzter Sozial(an)klage – und kann auch Ringsgwandls zwischen Rock’n’ Roll, Blues, Foxtrott und Schieber swingende Nummern singen. Verboten schräg wie eine aufgespießte Primadonna, dann wieder dunkel gründelnd wie ein Höllengeist. Annika Pages als Chucks Freundin Angie bietet ihm Paroli: „Ich mach’ mir nichts aus Männern, ich brauch davon nur zwei.“ Sie spielt hemmungslos über das ihr angehängte Sex-Weibchen-Image hinweg, bricht mit Hilfe des schleimigen Obermackers Prittwitz (Stephan Kampwirth hockt perfekt auf seinem Klischee) aus, macht auf Böse-Mädchen-kommen-überall-hin. Eine Befreiungsorgie. Annika Pages ist die beste Sängerin der Truppe, doch fehlt ihrem Singen gerade deshalb ein Mehr an Schärfe, Distanz und Abnabelung vom parodierten Musical-Gehabe. So kommt diese „Tankstelle“ als offenes Episodendrama ohne jede Entwicklung aber mit ein paar Längen daher. Und steigert sich erst nach der Pause in einen bis dahin vermißten, ringsgwandl-würdigen Anarchismus hinein. Wenn dann gar nichts mehr geht, Chuck die sieben Arten eine Bierflasche zu öffnen vorführt, wenn Tempo und Timing zu stimmen beginnen: Dann ahnt man, wie abgefahren schräg am guten Geschmack vorbei diese wie ein Steinbruch hingewuchtete Story laufen müßte. „War das eine Fehlzündung?“ frägt einer von Prittwitz‘ Leibwächtern, als Chuck tot umfällt. „Ich glaub, das war ein Kolbenfresser“, sagt darauf der zweite. Das sind die beiden Extreme, denen Ringsgwandl in den Kammerspielen nicht immer entgeht. REINHARD J. BREMBECK

Bildunterschrift/Tabelle: GEORG RINGSGWANDL in seinem „Schrottmusical“ im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele Photo: Oda Sternberg