Fränkischer Tag - Kultur - Samstag, 2. Januar 1999

Der Kini liebt knackige Knaben

Georg Ringsgwandls Rockoper “Ludwig II. — die volle Wahrheit” uraufgeführt

Die königstreuen Bajuwaren hatten Schlimmstes geahnt: In der Rockoper “Ludwig II. — die volle Wahrheit” sollte das Andenken ihres angebeteten Märchenkönigs “besudelt werden”. Deshalb warnten am Silvesterabend einige schwarze Vermummte die ankommenden Theaterbesucher bei der Premiere an den Münchner Kammerspielen vor der “Blasphemie” des Stückes: Die “erhabenste, liebenswürdigste, freigiebigste, gebildetste und genialste Persönlichkeit” werde in den Sumpf des Trivialen hinabgezogen.

 Tatsächlich räumt Musikkabarettist Georg Rinsgwandl in seiner “Punkoper” auf mit den Mythen vom glorreichen Bayernkönig. Die “einzigartige Ikone bayerischer Kultur”, als den ihn seine Anhänger feiern, hüpft willensschwach, größenwahnsinnig und leicht debil über die Bühne. Der von Ringsgwandl selbst gespielte König kokst — für den Kreislauf, er kifft — zur Entspannung — und kann sich an knackigen Knaben nicht sattsehen. Am Ende verkauft er Bayern gar an den Preußen Bismarck, von Jörg Hube verkörpert — nur damit er sich als “Filialleiter” des deutschen Reichs ungestört dem Bau spinnöser Schlösser widmen darf.

 Überhaupt geht es bei Hofe zu wie im Tollhaus: Ludwigs Cousine Sissi (Annika Pages) ist ein geldgieriges und mannstolles Dummchen, Maler Vincent van Gogh (Rufus Beck) ein farbenblinder Fall für die Psychiatrie. Und das von Ludwig ausgehaltene, selbsternannte Genie Richard Wagner ist, auch wenn er sich selbst für ein “Gesamtkunstwerk” hält, vor allem eines — chronisch pleite.

 Mit der “exakten historischen Wahrheit” habe das Musical nicht viel zu tun, hatte Ringsgwandl schon vor der Premiere betont. Einiges freilich durchaus. Wie und ob der geisteskranke Bayernkönig am 13. Juni 1886 im Starnberger See umkam, darauf gibt der Regisseur keine Antwort, er präsentiert mehrere Versionen. Am Ende entschwindet der Märchenkönig mit Sissi in einem Papp-Schwan in den Himmel.

 Das Premierenpublikum störte sich trotz der Warnung der Protestler nicht an den historischen Schnitzern und der Verunglimpfung des Bayern-Königs. Die Zuschauer belohnten Schauspieler und Musiker nach der zweistündigen Revue am Donnerstag abend mit lang anhaltendem Applaus — und die weiß- blauen Demonstranten, denen sich auch “edel gesinnte Preußen” hätten anschließen dürfen, waren nach der Premiere verschwunden.

Georg Beck