FAZ 02.01.99

Königskasper der Dorfdisco
Georg Ringsgwandls "Ludwig II. - Die volle Wahrheit" in den Münchner Kammerspielen

Keine Frage: Silvester muß es natürlich knallen, und daß er es so richtig krachen lassen werde, hatte Georg Ringsgwandl, der gewesene Oberarzt und approbierte Rock-Kabarettist, vor der Entkorkung seines schmissigen Singspiels um Leben und Sterben von König Ludwig II. an den Münchner Kammerspielen versprochen. Den Königstreuen im Lande hatte das allerdings offenbar schon im Vorfeld alarmierend in den Ohren geklungen; sie argwöhnten Majestätsbeleidigung und Denkmalsschädigung, wenn Ringsgwandl in entmystifizierender Absicht als tuntig aufgemotzte Parodie dem heißgeliebten Oberbayern den Herzensthron streitig macht. Und so hatten sich denn drei schwarz gewandte Gestalten vor dem Theatereingang zur Mahnwache postiert, die Gesichter verdeckt von Scharfrichter-Kapuzen à la Kini-Kulti-Klan, zu Füßen Wappenschilder mit je einem Konterfei des Monarchen nebst der ebenso schlichten wie merkwürdig zweifach getrennten Aufschritt "Blas-phe-mie". - Ernst oder doch nur ein PR-Gag? Egal, eine bessere Werbung hätte jedenfalls kein Marketing-Stratege ersinnen können, und so wirkten selbst die herbeigerufenen Polizeibeamten wie Komparsen eines Spektakels mit realsatirischem Effekt, einerseits.
Andererseits war die musikalische Ludwig-Revue auf der Bühne, für die Ringsgwandl als Autor, Komponist, Bühnenbildner und Hauptdarsteller ganz im Geiste des Vorbilds gesamtkünstlerisch verantwortlich zeichnet, doch bloß eine kracherte Silvestergaudi, eine durchgeknallte Königskasperliade und folglich der Empörung kaum wert. Draußen wittert man Blas-phe-mie, drinnen beugt Ringsgwandl vor der Kitsch-Ikone allerliebst das Knie. Daß er gerne Strumpfhosen trägt, weiß man aus seinen Soloprogrammen; nun, bei seinem zweiten Ausfallschritt ins Musiktheater nach der ingeniösen Schrott-Operette "Tankstelle der Verdammten" am selben Ort, bietet Ringsgwandl die Königsrolle ausgiebig Gelegenheit, Bein zu zeigen: Im Trippelschritt tänzelt er selbstverliebt die geschwungene Showtreppe hinab wie eine glamouröse Diva, verschiebt das Parallelogramm des zierlichen Edelgebeins in immer neue Winkel, kokett angeknickst das Spielbein, dann balletös in gezierten Arabesken durch seine Schloßgemächer hüpfend, die mit Glitterboden und Flittervorhang, hinter dem die sechsköpfige Band aufspielt, eher an eine Dorfdisco gemahnen. Seitlich treppab angebrachte Rutschen sorgen dafür, daß die Entourage hinter ihm bleibt und doch schon wieder untertänigst unten bereit steht, um die Schleppe aufzunehmen, bevor der Regent auf dem Fußweg angelangt ist.
Zum Lever rollert der Schauspieler Jörg Hube, ins schwarze Schlauchkleid der Haushälterin wie in ein Gorilla-Kostüm gezwängt, mit der Kleiderstange herein, denn es ist Krönungstag, der Prinz ob der Garderobenfrage melancholisch umdüstert. Noch im Badeanzug lüpft der Bayern-Hamlet tändelnd das güldene Mokka-Tässchen, schlüpft sodann in die feschen Stulpenstiefelchen sowie ins schmucke Waffenröckchen und drückt sich das in Kunstharz gegossene für die Ewigkeit ondulierte Toupetchen aufs erlauchte, doch schüttere Haupthärchen. Zum Zobelmantel trägt der effeminierte Ludwig Schmoll-Schnute, denn der Sinn steht ihm mehr nach Maniküren als nach Regieren: Der Märchenkönig als eitler Fant und ausgemachter Dummbeutel, der versonnen psalmodierend sein Loblied höchstselbst anstimmt: Ich bin die Lichtgestalt von Nymphenburg, der Hit von der Amalienburg" - Ringsgwandl singt und säuselt schön schiefe Koloraturen im Kastratenton, sein Körper ruckt und zuckt im Takt der zwischen Polka und Funk, Gstanzl und Rap locker wechselnden Schunkel-Songs durch den Schnelldurchlauf der Lebensstationen und läßt keinen Zweifel daran, wer in seinem Reich mit wahrhaft gloriosem Groove regiert.
Wie Planeten umkreisen die Hofschranzen den Sonnenkönig und wechseln auf ihren Umlaufbahnen fliegend die Rollen, Jörg Hube droht etwa als Königin Marie dem verschwendungssüchtigen Sohnemann mit der Höchststrafe, sie werde ihm sein Lieblingsspielzeug namens Richard Wagner wegnehmen, wofür der Gescholtene als Entschädigung einen Raddampfer fordert; Muttern verlangt Fortpflanzung, Ludwig will jedoch seinen Stallknecht heiraten, obwohl der evangelisch sei. Auch die eigens herbeigeeilte Cousine und Schwester im Klischee Sissi kann ihm da kaum aus der Schwerenot helfen. Annika Pages Elisabeth ist eine Disco-Schlange in Korsage und Lackstiefeln; im schönsten Pawlatschen-Ton singt sie stimmkräftig von ihren Geheimdiäten und der stets zu knappen Apanage, fegt über die Bühne als Donau-Domina, um später die hochschwangere Cosima Wagner zu mimen. Rufus Beck in der Rolle des Günstlings avanciert mit Samtbarett und umgehängtem Keyboard vom gewöhnlichen Straßen-Schnorrer zum geriebenen Raffzahn. Wacker artikuliert sich Beck durch die endlosen Stabreime wagnerianischer Diktion und summt kongenial spinös den Wallkürenritt im Duett mit seinem Gönner, verirrt sich zwischenzeitlich als Vincent van Gogh ins Schloß, dem er dann doch die Psychiatrie vorzieht.
Insgesamt achtundsechzig Rollen werden von vierzehn Schauspielern und Schauspielschülern gegeben, allein sechs davon hat Jörg Hube inne, der als belfernder Bismarck den Beitritt Bayerns zum deutschen Bund einfordert nach der Schlacht von Königsgrätz ("Da bin ich ja nur noch Filialleiter", kommentiert der kindische König die Schmach), und hat eine der besten Nummern, wenn er als aufs Altenteil geschobene Haushälterin einen wunderbaren Bayern-Blues hinschmalzt und -seufzt.
Doch so aufgekratzt alle mitsingen und -springen, der King bleibt stets Ringsgwandl, in Uniform oder später leger in getigerter Seidenbluse durch seine schräge Version der Ludwig-Biographie rockend. Immer wenn er eine Verschnaufpause einlegt, streckt rechtschaffen eingeübtes Musical-Gehopse von Hilly-Billy-Holzhacker-Buam, Trachtlern und Wasserwachtlern das Spiel und beschert ihm folglich so manche Länge. Man sieht den Schweiß, den es kostet, die Verhältnisse im Stadttheater zum Tanzen zu bringen.
Lustig ist das zwar allemal; doch die Diskrepanz, was es sich das Subventionstheater kosten lassen muß, um im Resultat einem Szene-Brettl ähnlich zu sehen, fällt schon auch auf. Immerhin hat man nebenbei einen kleinen Coup gelandet. Genau in einem Jahr soll nämlich pünktlich zu Silvester in Füssen, am Ufer des Forggensees und vis-à-vis von Schloß Neuschwanstein, ein eigens errichtetes König-Ludwig-Festspielhaus eingeweiht werden, das als strukturpolitische Investition den Kini vor den Musical-Express spannt. Dem gänzlich ironiefreien 45-Millionen-Projekt sind die Münchner jedenfalls mit ihrer sogenanten Punkoper zuvorgekommen. Beim Füssener Weihespiel werden wohl mit Sicherheit all die Devotionalien feilgeboten, die auch Ringsgwandl ursprünglich während der Pause zum Kauf bereithalten wollte. Diese Pointe allerdings verbat die Theaterleitung ihrem Gaudiburschen dann doch. CHRISTOPHER SCHMIDT