Montag, 15. November 1999  MÜNCHNER KULTUR  M / F / B Süddeutsche Zeitung Nr. 264 / Seite 20

 

 

 

 Einen Leberkäs für den Meister 

 

 Hommage an Jörg Hube, einen großen, eigenwilligen Schauspieler in seltsamen Klamotten 

 

Als wir im Herbst 1998 den „Ludwig“ probten und mir die Schauspieler davon liefen, dachte ich an Jörg Hube. Es hieß, er sei nicht verfügbar, hat sich beim „Puntila“ den Knöchel verstaucht, probt in der Oper den „Freischütz“ und schreibt am neuen „Herzkasperl“. Ich brauchte ihn aber dringend, und da sagte er zu, ohne einen Augenblick zu zögern. Mehr noch, er tat es zickenfrei, und das ist selten in diesem Gewerbe. Er sagte zu, obwohl er viel am Hut hatte und das Leiden seiner schwerkranken Mutter auf ihm lastete. Dann allerdings: Hube bei den Proben.

An sich kann er gar nicht, weil ihn drei andere Projekte drücken, aber er kommt trotzdem, nur ein bisserl später, und dann sieht er aus wie einer, der sich gerade am nächstbesten Caritas-Container eingekleidet hat. Wie der Herr Schäbig von Beigehausen. Das braungrau gemusterte Jacket vom Wühlhaufen des Wochenmarktes Dingolfing über taubenmausgraublauer Hose und diagonal karierten Socken undefinierbarer Farbgebung, was sage ich: Farbverirrung, Nichtfarbenversündigung, missratene Unfärbigkeit fehlgekaufter Dys-Klamotten. So hockt er sich mitten in die Szene auf einen Stuhl, grob störend in seiner trostlosen Zivilmontur (alle anderen längst im Probenkostüm), lässt das Gesicht fallen und fragt: „Was, bei so einem Scheiß soll ich mitmachen?“ Dann liest er seinen Text so angewidert runter, dass sich die Seele des Autors vor Geniemangelscham windet. Oft geht es dann nicht anders als dass einer zum Metzger radelt und eine Brotzeit besorgt. Leberkäs und Brezen, und damit ist die Probe gelaufen.

Oder: Keiner besorgt eine Brotzeit. Dann hockt er zusammengesunken da und bringt alle so runter, dass es nicht mehr tiefer geht, bis auf Bodenbrettlniveau. Aber kurz bevor alle davonlaufen, hört man ein leises Geräusch, ein feines Surren wie von einer anlaufenden Turbine: Der Griesgram Hube läuft warm. Dann brechen in einer Serie von Eruptionen Einfälle aus ihm hervor, von denen der Normale nicht einmal träumt, dann ist es für den Regisseur wie in einer guten Konditorei: Die Auslage voller Torten, man braucht sich nur das Beste aussuchen. Bald danach: der posteruptive Hube, 85 Kilo pyknische Zerknirschung, Jörg wieder bieder, der seine grandiosen Ideen gleich wieder als pubertäre Blödelei vergraben will; diese Goldkörner, Diamanten, diese edelste Ware will er dann in den Müll kippen und orakelt was von seriöser Arbeit und solidem Handwerk wie Staatsintendanten auf der Suche nach einem Alibi für ihre Einfallslosigkeit. Dann muss jemand den wahnsinnigen Hube vor dem kleinmütigen schützen. Nach so einer Probe möchte man ihm eine Luxusbrotzeit aufdrängen, doch häufig lehnt er ab. Der nähere Kontakt zu ihm ist kein leichter.

Nach einem harten Tag spielt er eine Theatervorstellung, setzt sich um Mitternacht in seinen verschissenen Polo und öttelt Hunderte von Kilometern zu irgendeiner Verpflichtung, die er meint, wahrnehmen zu müssen.

Er ist einer der paar besten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum und der einzige, der damit nie Geld verdient hat, nie verdienen wollte. Wenn er wieder mal irgendwo am Arsch der Welt für 2000 Mark den Herzkasperl gespielt hat, wo er doch leicht ein Mehrfaches dafür kriegen könnte, höre ich Gott vom Firmament herunterbrüllen: Jörg Hube, bei deinem Talent, bei deinem Können, warum fährst du nicht im Achtzylinder mit Chauffeur? Aber nein, Bescheidenheit heißt seine Freundin. Für ihn reicht es, nach der Vorstellung die Kammerspiele durch den Hintereingang zu verlassen und sich „in die Emmi“ hineinzuhocken, wo ihn der Hund anbrunzt. Zu karger Atzung. Zum Verzweifeln. Vielleicht meint er – auf Grund irgendwelcher frühkindlicher Traumata – keinen Luxus genießen zu dürfen. Vielleicht bedeutet ihm das nichts, vielleicht hat er andere Freuden, von denen wir nichts wissen, weiß Gott.

Er hat hervorragende Film- und Fernsehrollen gespielt und nie welche, für die er sich schämen müsste. Er ist nicht der, der überall dabei sein muss. Er kann damit leben, nicht ständig in der Zeitung zu sein und meidet die Welt des Schicken und Erfolgreichen. Ein Uneitler, der darüber lachen kann, wenn eine gestolperte alte Frau, der er wieder auf die Beine hilft, sagt: „Eahna kenn i doch vom Fernsehn, san Sie net der Herr Polt?“ Er lässt es sich nicht heraushängen, was er kann und was er schon geleistet hat.

Aber er kann tobsüchtig werden. Wenn ihm zur falschen Zeit was quer kommt, fängt er an zu brüllen. Dann verdammt der entfesselte Kohlhaas des süddeutschen Theaters die bösen Mächte da oben in einem derart barock geistigen Amok, dass alles ringsum in Deckung geht. Aber nie sah ich ihn auf einen Untergeordneten losgehen. Er ist einer der letzten praktizierenden Sozialdemokraten, ein Mann von makellosem Ethos. Keiner, der sich vordrängt. Ein Mann mit hochentwickeltem Gehör für falschen Zungenschlag. Man hört immer wieder, er sei als Direktor das Beste gewesen, was der Falckenbergschule passiert ist. Das könnte ich gut verstehen. Es hat mir viel geholfen, wenn er Schauspielstudenten eine schwierige Stelle erklärte. Sie respektieren ihn als einen, der das Theater von der Pike auf gelernt hat, der Schauspielerei und Regie kennt.Der viel weiß und es selbst beherrscht.

Knöchelzerrung, Kehlkopfentzündung, Grippe, wenig geschlafen, aber er geht auf die Bühne. Kein Prinz Neyn zu Zickenstein-Jeyn auf der Erbse, er macht die Vorstellung. Die ersten Moment noch gebeugt vom draußigen Leben, aber dann explodierend in Kraftakten, dass das Haus bebt. Ich frage mich oft, wie er es anstellt. Ich glaube, er ist Professor in angewandter Bühnenpsychologie oder geheimer Träger des schwarzen Gürtel in der Zen-Kunst der Schauspielerei. Obendrein singt er ganz passabel und ist sich für keine noch so abgedrehte Choreographie zu schade.

Von welchem Schauspieler kriegen Sie alle möglichen Dialekte plus Strauß, Bismarck und Kultusminister Maier, die verhärmte Hausfrau, den Bauchredner und die kokette Dame? Das alles nacheinander und nicht als Klamauk, sondern als lebende, anrührende Menschen? Wer kann, wenn das Licht ausgeht, den Saal aus dem Stegreif eine Stunde lang bei Laune halten? Wer kraxelt den 20 Meter hohen Pylon eines Zirkuszelts hinauf, in Rock und Stöckelschuhen und ohne Sicherung? Von wem kriegen Sie das?

Ich meine, es punktet positiv auf dem Coolometer für die Kammerspiele, einen Mann wie Hube lange Zeit gepflegt zu haben. Aber was sage ich, er braucht keine Reklame. Jeder, der ihn einmal gesehen hat, weiß, dass man sich die Karten für seine Vorstellungen blind kaufen kann. Egal was er tut, er hat immer Qualität. Als Theateraußenseiter fragt man sich ja hin und wieder: Warum wird so einer nicht Intendant? Aber er ist halt keiner, der intrigiert, kein Taktierer, keiner, der herumwieselt und den Mächtigen die Schuhe putzt. Und so kriegt jeder kreativ Schwindsüchtige ein eigenes Haus, aber der Hube fährt immer noch mit dem Polo herum.

( Am Dienstag liest Jörg Hube in den Kammerspielen aus Feuchtwangers Erfolg, dazu spielt die Biermösl Blosn, Beginn 19.30 Uhr, die Vorstellung ist ausverkauft.)

GEORG RINGSGWANDL

 

Die vielen Gesichter des Schauspielers Jörg Hube. Wie kaum ein anderer in diesem Metier pflegt er Hohe Kunst und und Bescheidenheit.

Fotos: SZ-Archiv

 

 

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