MÜNCHNER KULTUR

Dienstag, 28. März 2000

 

Bayern Seite 22 / Deutschland Seite 22 / München Seite 22

Der ewige Traum
vom Eigenheim

Hanna Schygulla singt
Weills „Die sieben Todsünden“

Lächelnd und leicht fragend nickt Hanna Schygulla: „Aah, für Paris hat Weill das geschrieben.“ Schygulla führt mit den Münchner Philharmonikern Kurt Weills „Die sieben Todsünden“ auf.

Doch um die Entstehungsgeschichte des Werks hat sie sich nicht gekümmert. Was Musik angeht, ist sie keine analysierende Philologin. Ihren Part studiert sie mit Walkman und Textbuch rein nach dem Gehör ein, Notenlesen hat sie nie gelernt. Und wenn sie singt, dann lässt sie sich einfach von ihrem Gespür leiten. Schließlich ist sie nicht als Kunstsängerin engagiert, sondern als Hanna Schygulla, die unvorbelastet von Konservatoriumstraditionen ihren eigenen Weg zu Weill sucht.

Um die Schauspielerin Hanna Schygulla ist es in den letzten Jahren still geworden. Doch sie nutzte die Flaute, um sich neues Terrain zu erobern. Der ehemalige Fassbinder-Star verlegte sich aufs Chanson-Singen, konzipierte Abende nach Texten von Handke, Fassbinder, Tucholsky und Brecht, für die sie in ihrer Wahlheimat Paris schon mehrfach bejubelt wurde. „Im Grunde“, sagt sie, „ist es ein Kinderwunsch, der jetzt noch an die Oberfläche kam“. Dass sie mit einem klassischen Orchester zusammen singt, ist allerdings eine Premiere. Und nach der ersten Probe ist sie auch noch nicht ganz sicher, was sie davon halten soll.

„Der erste Schritt ist, sich von dieser Einengung zu befreien, die von diesen vielen perfekten Musikern kommt. Da muss man sich dann immer wieder sagen: ,Ist halb so wild’, und sich einfach in den Inhalt reinwerfen.“ Der Inhalt von Weills Ballettmusik mit Gesang ist für Schygulla hoch aktuell, genauso wie die Musik, in der sie mit ihrer Mischung aus Song, Schlager, Marseillaise und deutscher Innigkeit eine Urform des Crossover sieht.

Bertolt Brecht schrieb für Weills „Todsünden“ eine böse Parabel über enge Kleinbürgermoral: Das Landmädchen Anna wird von seiner Familie in die großen Städte geschickt, um dort als Tänzerin Geld für ein gemeinsames Eigenheim zu verdienen. Die Jahre in der Stadt sind ein ständiger Kampf gegen die eigenen Bedürfnisse, die Brecht zynisch mit den sieben Todsünden von Stolz bis Neid betitelt. Anna widersteht, kehrt gebeugt und ausgelaugt zurück – und das Eigenheim ist fertig.

„Das ist doch genau das Phänomen, das es bei uns auch gibt,“ meint Schygulla, „man ist hinter was her, und dann ist das Leben plötzlich vorbei.“ Wobei die 56-jährige Schauspielerin sich da nicht einschließt, sie selbst hat das Leben immer auf sich zukommen lassen. So auch das Projekt mit den Philharmonikern: „Auf die Dauer ist das wohl nicht mein Ding“, meint sie, „aber ich bin immer gespannt auf was Neues.“ Gespannt sein darf man auf das Philharmoniker-Konzert, das Lothar Zagrosek dirigiert, nicht nur wegen Schygulla.

Noch ein anderer ungewöhnlicher Gast ist dabei: Georg Ringsgwandl als Rezitator für Bernd Alois Zimmermanns „Les soupers du Roi Ubu“. Zum heutigen Jugendkonzert um 19.30 Uhr gibt es noch Karten im freien Verkauf (ermäßigt 13,50 Mark), ebenso für das Abokonzert am morgigen Mittwoch um 20 Uhr.

MIRIAM STUMPFE